Psychiatriegeschichte in der NS-Zeit
Im Oktober 1939 gab Adolf Hitler mit einem auf den 1. September 1939 zurückdatierten Schreiben den Auftrag zu der als „Euthanasie“ bezeichneten Tötung von „lebensunwertem Leben“. Die nach der Berliner Tiergartenstraße 4, ihrem Leitungszentrum, benannte „Aktion T4“ markiert den Beginn der systematisch organisierten Morde. Im Rahmen der „Aktion T4“ wurden im Deutschen Reich ca. 70.000 psychisch kranke und geistig behinderte Menschen getötet.
1939 lebten im Rheinland knapp 24.000 Menschen in psychiatrischen Einrichtungen, fast die Hälfte von ihnen in den sieben Heil- und Pflegeanstalten des Provinzialverbands. Im Frühjahr 1940 mussten fast 1.700 Patientinnen und Patienten der Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Bedburg-Hau bei Kleve einem Marinelazarett weichen. Für die Mehrzahl endete der Transport in einer sogenannten „Tötungsanstalt“.
Nach Protesten der Bevölkerung, unter anderem durch den Münsteraner Bischof Clemens August Graf von Galen, wurde das Mordprogramm im August 1941 zunächst abgebrochen, ab 1942 aber fortgeführt. Auch nach der „Aktion T4“ starben in den psychiatrischen Anstalten der Rheinprovinz tausende Menschen an vorsätzlicher Unterernährung und falschen Medikamentengaben.
In der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalt Grafenberg, der heutigen LVR-Klinik Düsseldorf, stieg die Sterberate von ursprünglich 6,6 Prozent auf 20,8 Prozent im Jahr 1944. In der Provinzialanstalt Langenfeld-Galkhausen lebten von den 1940 bis 1943 knapp 1.400 Patientinnen und Patienten, 1944 noch 677. In der Heil- und Pflegeanstalt Johannistal zu Süchteln, der heutigen LVR-Klinik Viersen, umfasste die Zahl von über 1.100 NS-Opfern mindestens auch fast 100 behinderte Kinder aus der angegliederten Kinderfachabteilung Waldniel, die durch Schlafmittel getötet wurden.
Die verantwortlichen Anstaltsärzte der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten unterstützten die „Euthanasie“-Politik der Nationalsozialisten aktiv. Nur wenige der beteiligten Ärzte wurden nach dem Krieg zur Rechenschaft gezogen.
Aufarbeitung der NS-Zeit im LVR
Die Rechte und Pflichten sowie das Vermögen und die Schulden der Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten wurden bei Gründung der Landschaftsverbände auf diese übergeleitet. Aufgrund dieser historischen Verantwortung sieht sich der LVR in einer besonderen Verpflichtung, seine Geschichte und insbesondere die des Rheinischen Provinzialverbands angemessen aufzuarbeiten. Auf diese Weise soll verhindert werden, dass vergangenes Unrecht in Vergessenheit gerät.
Seit den 1980er Jahren beschäftigt sich der LVR mit der Aufarbeitung der Verbrechen, die während der NS-Zeit in den Rheinischen Provinzial-Heil- und Pflegeanstalten verübt wurden. Hierüber – sowie auch über die Bemühungen des LVR allgemein, in der NS-Zeit begangenes Unrecht aufzuarbeiten – informiert die Broschüre„Der LVR stellt sich seiner Geschichte“ ( PDF, 815 kB ) .
Das „Denkmal der Grauen Busse“
Auch mit dem „Denkmal der Grauen Busse“ vor dem Landeshaus in Köln-Deutz erinnert der LVR an den Massenmord an den Psychiatriepatientinnen und -patienten aus dem Rheinland in der Zeit des Nationalsozialismus.
Es wurde von den Künstlern Horst Hoheisel und Andreas Knitz entworfen. Das Denkmal stellt einen in Segmente aufgeschnittenen, begehbaren, in Originalgröße gegossenen Betonbus dar. Es handelt sich um ein Abbild der Busse, mit denen in der NS-Zeit Patientinnen und Patienten aus Heil- und Pflegeanstalten in Tötungsanstalten wie Hadamar und Grafeneck verlegt wurden.
Von dem Denkmal wurden drei Exemplare angefertigt. Der Graue Bus vor dem Landeshaus des LVR wurde 2011 aufgestellt. Der erste Bus war 2006 für die „Euthanasie“-Opfer in der ehemaligen Heilanstalt Weißenau in Ravensburg errichtet worden. Ein dritter Bus wechselt als mobiles Denkmal seine Standorte und markiert in ganz Deutschland Orte der Tat, Orte der Opfer und Orte der Täter. Ähnlich der menschlichen Erinnerung soll dieser dritte Graue Bus kommen und gehen, so wie auch im Alltag Verdrängtes und Tabuisiertes immer wieder plötzlich auftaucht und verschwindet. Damit reflektiert das Denkmal die Erinnerung als einen Prozess, der Bilder erschafft, sie wieder verschwinden lässt, sich ständig verändert und damit auch immer in Bewegung ist.