Anspruch auf Amtshaftung wegen fehlender Zuweisung eines Betreuungsplatzes
Oberlandesgericht Hamm, Beschluss vom 9. Januar 2023
Az. 11 W 44/22
Das Oberlandesgericht Hamm lehnte die Beschwerde gegen einen die Prozesskostenhilfe versagenden Beschluss des Landgerichts Hagen ab.
Der Beschwerdeführer hatte einen Zahlungsanspruch in Höhe von 10.051,61 Euro nebst Zinsen aus § 839 Abs. 1 S. 1 BGB in Verbindung mit Art. 34 S. 1 GG geltend machen wollen, nachdem seinem Kind trotz einer Bedarfsanmeldung nicht rechtzeitig ein Betreuungsplatz zugeordnet wurde, wodurch der Antragssteller gehindert war, seine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.
Nach § 24 Abs. 3 S. 1 SGB VIII hat ein Kind, das das dritte Lebensjahr vollendet hat, bis zum Schuleintritt Anspruch auf Förderung in einer Tageseinrichtung. Die Inanspruchnahme eines Betreuungsplatzes setzt nach § 5 Abs. 1 Kinderbildungsgesetz NRW grundsätzlich voraus, dass die Eltern spätestens sechs Monate zuvor den gewünschten Betreuungsbedarf, -Umfang und -Art angezeigt haben.
Wird trotz rechtzeitiger Anmeldung des Bedarfs durch den zuständigen Träger der öffentlichen Jugendhilfe kein Betreuungsplatz für das Kind zur Verfügung gestellt, liegt eine Nichterfüllung des Förderanspruchs aus § 24 Abs. 3 SGB VIII und damit zugleich eine Amtspflichtverletzung im Sinne des § 839 Abs. 1 S. 1 BGB vor.
Diese Amtspflicht schütze sowohl die Belange des zu betreuenden Kindes als auch die der Personensorgeberechtigten.
Nach § 839 Abs. 3 BGB entfällt die Ersatzpflicht jedoch, wenn die Verletzten es vorsätzlich oder fahrlässig unterlassen haben, den Schaden durch Gebrauch eines Rechtsmittels, also alle Rechtsbehelfe im weitesten Sinn, abzuwenden. Dies betrifft insbesondere Anträge im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes nach § 123 VwGO.
Diese Regelung soll verhindern, dass die Verletzten zur Abwehr eines rechtswidrigen Hoheitseingriffs andere Mittel als die des ordentlichen Rechtsschutzes wählen. Der Nichtgebrauch von Primärrechtsschutz ist wiederum nicht schuldhaft, wenn die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs so gering oder zweifelhaft erscheinen, dass dem Verletzten der Gebrauch nicht zumutbar wäre.
Der Beschwerdeführer hatte am 26. Februar 2018 erfolglos mit Wirkung zum 1. November 2018 den gewünschten Betreuungsbedarf angezeigt, unternahm jedoch weder vor dem 1. November 2018 noch bis zu der tatsächlichen Zuweisung eines Betreuungsplatzes zum 1. August 2019 weitere Maßnahmen, um seinen Anspruch durchzusetzen.
Nach Ansicht des Oberlandesgerichts hätte für ihn die Möglichkeit bestanden, noch rechtzeitig vor November 2018 den verwaltungsgerichtlichen Eilrechtsschutz nach § 123 Abs. 1 S. 2 VwGO in Anspruch zu nehmen. Infolge eines solchen Antrags wäre die Antragsgegnerin voraussichtlich im Wege einer einstweiligen Anordnung verpflichtet worden, bis zu einer Entscheidung in der Hauptsache einen Betreuungsplatz ab dem 1. November 2018 nachzuweisen.
Unerheblich wäre dabei gewesen, ob der Anspruch mit den vorhandenen Kapazitäten überhaupt erfüllbar gewesen wäre, da er nicht erst unter einem solchen Vorbehalt stehe.
Zudem hätte nach Aussagen der Antragsgegnerin bereits die begründete Nachfrage bei der bevorzugten Einrichtung oder dem Jugendamt der Antragsgegnerin ausgereicht, um eine vorübergehende Betreuungsmöglichkeit, in Form eines Überbelegungsplatzes, zu erlangen. Dies sei in der Vergangenheit stets gelungen.
Zweifelsfrei hätte angesichts der eindeutigen Rechtslage nach Einschätzungen des Oberlandesgerichts ein Antrag nach § 123 VwGO Erfolg gehabt. Der Antragssteller habe somit schuldhaft versäumt, auch verwaltungsgerichtlich gegen die behördlich versäumte Zuweisung vorzugehen.
Demzufolge könne der Ausschluss eines Ersatzanspruchs des Beschwerdeführers im Sinne des § 839 Abs. 3 BGB bereits im Prozesskostenhilfeverfahren abschließend geprüft und beurteilt werden.
Beschluss des Oberlandesgerichts Hamm
Einhaltung des § 55d S. 1 VwGO durch Amtsvormund des Jugendamtes
Verwaltungsgericht Minden, Gerichtsbescheid vom 12. Dezember 2022
Az. 3 K 2322/22.A
Das Verwaltungsgericht Minden wies eine Klage in einem asyl- und aufenthaltsrechtlichen Verfahren ab, nachdem ein Amtsvormund des Jugendamtes die gesetzlich bestimmte Form der Klageschrift nicht eingehalten und infolgedessen die Klagefrist versäumt hat.
Der Kläger stellte am 10. März 2022, vertreten durch das Jugendamt der Stadt Bielefeld als seinen Amtsvormund, einen Asylantrag, der mit Bescheid vom 25. Juli 2022 abgelehnt wurde. Der an die „Stadt C. - Amt für Jugend und Familie - Frau F. “ adressierte Bescheid ging am 1. August 2022 beim Jugendamt ein. Vertreten durch seinen Amtsvormund erhob der Kläger mit postalisch übermittelter Klageschrift am 15. August 2022 Klage. Auf einen gerichtlichen Hinweis hin übermittelte der Amtsvormund die Klage am 18. August 2022 über das besondere elektronische Behördenpostfach erneut an das Gericht und stellte zugleich Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nach § 60 Abs. 1 VwGO, da er sich der Verpflichtung zur elektronischen Übermittlung der Klage nicht bewusst gewesen sei.
Nach § 81 Abs. 1 S. 1 VwGO ist die Klage schriftlich zu erheben. Gemäß § 55d S. 1 VwGO in der seit dem 1. Januar 2022 geltenden Fassung sind schriftlich einzureichende Anträge, die durch einen Rechtsanwalt, eine Behörde oder juristische Person des öffentlichen Rechts gestellt werden, als elektronisches Dokument zu übermitteln. Ist dies aus technischen Gründen vorübergehend nicht möglich, bleibt die Übermittlung nach den allgemeinen Vorschriften zulässig (§ 55d S. 3 VwGO). Auf Anforderung ist ein elektronisches Dokument nachzureichen (§ 55d S. 4 VwGO).
Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts muss das Jugendamt sich auch in seiner Funktion als Amtsvormund im Gerichtsverfahren an seiner Behördenstellung festhalten lassen und der Verpflichtung aus § 55d S. 1 VwGO nachkommen. Soweit sie eigenverantwortlich verwaltungsgerichtliche Prozesse führen, können die Behördenmitarbeitenden sich nicht auf die Unkenntnis bezüglich einer seit dem Januar 2022 geltenden Verpflichtung berufen, sodass diese regelmäßig verschuldet sei. Ihnen obliege es, die rechtlichen Rahmenbedingungen für die Kommunikation mit Gerichten zu kennen und sich bei Unsicherheit juristischen Rat zu suchen.
Das Gericht wies die Klage als unzulässig ab. Erst mit der elektronischen Übermittlung, damit nach Ablauf der zweiwöchigen Klagefrist, sei die Klage erhoben worden.
Den Amtsvormund des Klägers treffe die gesetzliche Verpflichtung aus § 55d S. 1 VwGO. Eine Ausnahme dieser sei im vorliegenden Fall nicht ersichtlich. Insbesondere könne er sich nicht auf die Unwissenheit bezüglich der Verpflichtung berufen, da diese Kenntnis ihm durchaus zugemutet werden könne. Dabei handle es sich um eine vermeidbare, damit verschuldete, Rechtsunkenntnis. Dieses Verschulden seines gesetzlichen Vertreters müsse der Kläger sich auch gemäß § 173 S. 1 VwGO i. V. m. § 51 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen.
Mit dieser Begründung lehnte das Verwaltungsgericht Minden auch den Antrag nach § 60 Abs. 1 VwGO ab, da das Fristversäumnis aus der durch Fahrlässigkeit verschuldeten Rechtsunkenntnis des Amtsvormundes resultierte.
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