Interview mit Dr. Helmut Rönz, Leiter des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte, zum Jubiläum 75 Jahre Grundgesetz
 
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22. Mai 2024 | Der LVR

Wie schützt das Grundgesetz die Demokratie, Herr Dr. Rönz?

Interview mit Dr. Helmut Rönz, Leiter des LVR-Instituts für Landeskunde und Regionalgeschichte, zum Jubiläum 75 Jahre Grundgesetz
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Bonn. 22. Mai 2024. Morgen ist der 75. Jahrestag der Verkündung des Grundgesetzes. Was man über den Entstehungshintergrund des Grundgesetzes wissen muss und wie der Landschaftsverband Rheinland (LVR) sich mit seiner Arbeit täglich für die Inhalte und Ziele der bundesdeutschen Verfassung einsetzt, erklärt Dr. Helmut Rönz in diesem Interview.

Die Stadt Bonn wirbt zum Jubiläum „75 Jahre Grundgesetz“ mit dem Slogan „Demokratie made in Bonn“. Was ist damit gemeint und was muss man über den historisch-politischen Entstehungshintergrund des Grundgesetzes wissen?

Helmut Rönz: Zunächst hat der Slogan einen formalen Grund: Von September 1948 bis Mai 1949 kam in Bonn der Parlamentarische Rat zusammen, um ein vorläufiges Verfassungsdokument für Westdeutschland auszuarbeiten. Tagungsorte waren das Museum Koenig und die Pädagogische Akademie am Rhein, der spätere Sitz des Deutschen Bundestages. Unter Vermittlung der westlichen Alliierten und unter dem Vorsitz Konrad Adenauers konzipierten die Mitglieder des Parlamentarischen Rates eine neue Struktur für das politisch, wirtschaftlich und moralisch zerstörte Deutschland. Mit dem Grundgesetz schufen sie die Grundlage für die freiheitlich-demokratische Grundordnung, die parlamentarische Demokratie und die hohe Bedeutung der Grundrechte. Zudem gibt es einen historischen Grund, von „Demokratie made in Bonn“ zu sprechen: Es ist auch eine Anspielung auf die Bonner Republik, die demokratisch erfolgreichste Republik auf deutschem Boden, die bis heute eine Erfolgsgeschichte ist - egal ob die Hauptstadt in Bonn oder Berlin ist.

Welche Bedeutung hat die Entstehung des Grundgesetzes und die Gründung der Bundesrepublik Deutschland in Bonn bis heute für die jüngere deutsche Geschichte?

Helmut Rönz: „Bonn“ steht für den gelungenen Versuch des demokratischen Neubeginns in Deutschland. Mit der „Bonner Republik“ verbinden sich heute die Stabilität des politischen Systems, der wirtschaftliche Erfolg, die Westintegration in EU und NATO sowie der Schlusspunkt einer erfolgreichen Wiedervereinigung. Im Wissen um die Diktaturvergangenheit war die politische Kultur durch ein hohes Maß an Bescheidenheit staatlicher Architektur und Repräsentation sowie eine zumeist sachorientierte Streitkultur und eine Zurückhaltung in kriegerischen Konflikten gekennzeichnet. Seit der Wiedervereinigung und dem Hauptstadtumzug nach Berlin, aber vor allem durch den weltweiten politischen und technischen Wandel verändert sich die Politik in Deutschland. Dennoch sind die in Bonn gelegten Grundlagen nach wie vor die Leitplanken deutscher Politik.

„Die Bundesrepublik Deutschland ist ein demokratischer und sozialer Bundesstaat.“ (Art. 20 Abs. 1 GG) Welche Bedeutung genießt der föderale Staatsaufbau im Grundgesetz? Was bedeutet dies für den Landschaftsverband Rheinland?

Helmut Rönz: Die deutschen Länder sind älter als der Bund. Deutschland kennt seit dem Mittelalter föderale Strukturen. Das Grundgesetz schreibt die föderale Struktur fest und fördert die Kooperation zwischen dem Bund und den Ländern. Die dritte Ebene im Staatsaufbau der Bundesrepublik sind die Kommunen. Sie mussten nach 1945 sogar noch vor den Ländern wieder funktionieren. Die Alliierten setzten in den Kommunen schnell Bürgermeister ein, die sich um Wohnraum, öffentliche Güter und die Daseinsvorsorge im Allgemeinen kümmerten. Hier wurde zuerst gehandelt. In Nordrhein-Westfalen gibt es darüber hinaus die Landschaftsverbände Rheinland (LVR) und Westfalen-Lippe (LWL). Die beiden kommunalen Regionalverbände wurden von den Städten und Landkreisen gegründet, um Aufgaben in der Behinderten- und Jugendhilfe, in der Psychiatrie und der Kultur zu erfüllen. Dahinter steht das Prinzip der kommunalen Selbstverwaltung, welches grundgesetzlich garantiert ist (Art. 28 Abs. 2 GG). Die kommunale Selbstverwaltung ist ein Signum subsidiärer Eigenständigkeit in freiheitlichen Gesellschaften. Kommunale Selbstverwaltung kann den Aufbau eines autoritären oder totalitären Staates kaum verhindern. Aber kein autoritäres Regime und keine totalitäre Ideologie ertragen eine eigenständige kommunale Selbstverwaltung. Deshalb wurden nach 1933 die Kommunen sehr schnell gleichgeschaltet. Insofern sind die kommunale Selbstverwaltung wie wir sie im LVR leben und der LVR als Regionalverband mit seinen vielfältigen und inklusiven Aktivitäten Grundpfeiler unserer freiheitlichen Demokratie.

Immer wieder kommt das Thema „Krise der Demokratie“ auf die Tagesordnung. Welche Instrumente hält das Grundgesetz bereit, um Demokratie und Rechtstaatlichkeit in Deutschland zu schützen?

Helmut Rönz: Ein zentraler Wesenszug des Grundgesetzes ist es, die in ihm niedergeschriebene Demokratie vor ihren Feinden zu schützen. Die „wehrhafte Demokratie“ kommt in zahlreichen Artikeln des Grundgesetzes zum Ausdruck, besonders in Art. 19 und Art. 79: Sie verbriefen den Schutz der Grundrechte und die Staatsstruktur in Deutschland. Die Mütter und Väter des Grundgesetzes zogen hiermit die Konsequenz aus der Pervertierung von Recht und Gesetz unter der nationalsozialistischen Diktatur und den Schwächen der Weimarer Reichsverfassung. 75 Jahre des Bestehens der Bundesrepublik demonstrieren die Demokratie-stabilisierende Wirkung des Grundgesetzes. Trotz dieses Instrumentenkastens, den das Grundgesetz bereithält, bleibt das aktive Eintreten der Menschen in unserem Land für demokratische Werte und den Rechtsstaat unverzichtbar: Ob in demokratischen Parteien, Gewerkschaften, Kirchen, Vereinen und Verbänden, wir schützen unsere Freiheit mit unserem alltäglichen Engagement im Ehrenamt vor Ort.

Vielen Dank für das Gespräch.

 

Pressekontakt:

Isabelle Meyer-Thamer

 

Bild zum Download:

Konstituierende Sitzung des Parlamentarischen Rates am 1. September 1948 in Bonn.
Foto: Presse- und Informationsamt der Bundesregierung
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Über den LVR

Der Landschaftsverband Rheinland (LVR) arbeitet als Kommunalverband mit rund 22.000 Beschäftigten für die 9,8 Millionen Menschen im Rheinland. Mit seinen 41 Schulen, zehn Kliniken, 20 Museen und Kultureinrichtungen, vier Jugendhilfeeinrichtungen, dem Landesjugendamt sowie dem Verbund Heilpädagogischer Hilfen erfüllt er Aufgaben, die rheinlandweit wahrgenommen werden. Der LVR ist Deutschlands größter Leistungsträger für Menschen mit Behinderungen und engagiert sich für Inklusion in allen Lebensbereichen. „Qualität für Menschen“ ist sein Leitgedanke.

Die 13 kreisfreien Städte und die zwölf Kreise im Rheinland sowie die StädteRegion Aachen sind die Mitgliedskörperschaften des LVR. In der Landschaftsversammlung Rheinland gestalten gewählte Mitglieder aus den rheinischen Kommunen die Arbeit des Verbandes.