Einrichtungsschutz gemäß § 89e Absatz 2 SGB VIII
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Urteil vom 18. Dezember 2024
Az. 12 BV 22.2344
Nach seiner Entlassung aus der Geburtsklinik lebte das Kind zunächst gemeinsam mit den sorgeberechtigten Eltern in einer geschützten Einrichtung des betreuten Wohnens der Lebenshilfe. Im weiteren Verlauf gewährte das klagende Jugendamt, in dessen Bereich die Eltern inzwischen ihren gewöhnlichen Aufenthalt in einer anderen geschützten Einrichtung begründet hatten, für das Kind Hilfe zur Erziehung in einer Pflegefamilie und begehrte vom Beklagten als dem überörtlichen Träger Kostenerstattung gemäß § 89e Abs. 2 SGB VIII.
Der Beklagte lehnte die Kostenerstattung mit der Begründung ab, dass ein Anspruch nur bestehe, wenn vor der ersten Einrichtungsmaßnahme ein tatsächlicher Aufenthalt der nach § 89e Abs. 1 SGB VIII maßgebenden Person vorgelegen habe. Dies sei hier nicht der Fall.
Der Kläger erhob daraufhin Klage, der vom Verwaltungsgericht Augsburg stattgegeben wurde, woraufhin der Beklagte Berufung einlegte.
Die Berufung ist unbegründet. Nach Ansicht des Verwaltungsgerichtshofs hat das Verwaltungsgericht dem Kläger zu Recht einen Erstattungsanspruch gemäß § 89e Abs. 2 SGB VIII gegenüber dem Beklagten zuerkannt.
Die Zuständigkeit für die Gewährung der Hilfe richte sich im vorliegenden Falle gemäß § 86 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII nach dem gemeinsamen gewöhnlichen Aufenthalt der Eltern in einer geschützten Einrichtung im Bereich des Klägers, sodass § 89e Abs. 1 Satz 1 SGB VIII dem Kläger einen Kostenerstattungsanspruch gegen den örtlichen Träger zubillige, in dessen Bereich die Eltern vor Aufnahme in der geschützten Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt hatten. Da Mutter und Vater vor ihren langjährigen und ununterbrochenen Aufenthalten in geschützten Einrichtungen verschiedene gewöhnliche Aufenthalte gehabt haben, ergäben sich hiernach zwei gleichermaßen kostenerstattungspflichtige Träger. In dieser Situation greife § 89e Absatz 2 SGB VIII, wonach der überörtliche Jugendhilfeträger, zu dessen Bereich der erstattungsberechtigte Träger gehört, die Jugendhilfekosten zu erstatten habe, da ein einzelner kostenerstattungspflichtiger örtlicher Träger nicht vorhanden sei.
BayVGH 12 BV 22.2344
Berichtigung von Jugendamtsakten
Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss vom 7. Januar 2025
Az. 5 C 24.1831
Der Beschwerdeführer legt in einem Prozesskostenhilfeverfahren Beschwerde gegen einen Beschluss des Verwaltungsgerichts ein. Er erstrebt aufgrund eines Feststellungsinteresses und eines Interesses auf Rehabilitation eine Korrektur der Jugendamtsakten.
Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde gegen die Ablehnung der Prozesskostenhilfe des Verwaltungsgerichts zurückgewiesen.
Zum einen fehle das konkrete Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers. Das Verwaltungsgericht hatte die Erfolgsaussichten der Klage in der Hauptsache schon deshalb verneint, weil der Kläger seinen Anspruch vor Erhebung der Klage nicht bei dem Beklagten geltend gemacht habe. Dieser habe in der Vergangenheit bereits durch Korrektur von Akteninhalten gezeigt, dass er bereit sei, berechtigte Interessen des Klägers zu erfüllen.
Desweitern scheitert die Beschwerde auch in der Sache. Anspruchsgrundlage für einen Berichtigungsanspruch könne sich allenfalls Art. 16 Satz 1 Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) ergeben. Hiernach hat die betroffene Person das Recht, von dem Verantwortlichen unverzüglich die Berichtigung sie betreffender unrichtiger personenbezogener Daten zu verlangen. Im vorliegenden Fall geht es dem Kläger jedoch in erster Linie darum, Einschätzungen und Feststellungen des Jugendamtes zu korrigieren. Dies könne aber mit dem Auskunfts- und Berichtigungsanspruch nach der DSGVO nicht erreicht werde. Der Inhalt der Jugendamtsakten werde nicht schon alleine wegen des Kindschaftsverhältnisses vollumfänglich zum personenbezogenen Datum des Klägers im Sinne des Art. 4 Nr. 1 DSGVO. Bestimmte Sachverhaltsdarstellungen in Gutachten und Stellungnahmen würden regelmäßig nicht dem datenschutzrechtlichen Berichtigungsanspruch unterliegen, sondern könnten allenfalls in einem laufenden Verfahren Anlass für eine Gegendarstellung sein.
Keine subjektive Rechtsposition aus § 8a SGB VIII
Oberverwaltungsgericht Hamburg, Beschluss vom 30. Januar 2025
Az. 4 Bs 141/24
Der Antragsteller ist Vater zweier minderjähriger Kinder, für die er gemeinsam mit der Mutter sorgeberechtigt ist. Seit der Trennung der Eltern sind eine Vielzahl kindschaftsrechtlicher Verfahren anhängig. Mehrfach wandte sich der Antragsteller an das Jugendamt der Antragsgegnerin, machte eine psychische Kindeswohlgefährdung seiner Kinder durch die Mutter geltend und forderte das Jugendamt auf, diesbezüglich angemessene Maßnahmen zu ergreifen. Einen Beschluss auf einstweilige Anordnung lehnte das Verwaltungsgericht ab. Hiergegen legte der Antragsteller Beschwerde ein. Er begehrt im eigenen und im Namen seiner minderjährigen Kinder im vorläufigen Rechtsschutzverfahren die Verpflichtung des Jugendamtes, Maßnahmen zur Einschätzung des Risikos einer möglichen psychischen Kindeswohlgefährdung seine Kinder betreffend zu ergreifen, insbesondere die Mutter aufzufordern, die Kinder zwecks Durchführung einer Exploration durch einen psychologischen oder psychiatrischen Experten in das Jugendamt zu bringen.
Das Oberverwaltungsgericht führt aus, die Beschwerde im Namen der Kinder des Antragstellers sei aus formalen Gründen bereits unzulässig. Die Beschwerde im eigenen Namen sei unbegründet. § 8a Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VIII vermittele dem Antragsteller als mitsorgeberechtigtem Elternteil keinen Rechtsanspruch auf die von ihm begehrte Vornahme, beziehungsweise auf konkrete Maßnahmen einer Gefährdungseinschätzung. Die Vorschrift verbürge keine subjektiv-individuellen und selbständig einklagbaren Rechtsanspruch sorgeberechtigter Eltern. Denn die Regelungen über die Gefährdungseinschätzung in § 8a Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VIII steuerten lediglich das Verfahren, das der Entscheidung des Jugendamtes über die Erforderlichkeit von Maßnahmen vorgelagert ist, und konkretisieren insofern objektiv-rechtlich den aus dem staatlichen Wächteramt (Art. 6 Abs. 2 S. 2 Grundgesetz) abgeleiteten Schutzauftrag des Staates.
OVG Hamburg 4 Bs 141/24
Entscheidung der Behördenleitung ersetzt kein Hilfeplanverfahren
Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 20. Januar 2025
Az. M 18 E 25.184
Die 2006 geborene Antragstellerin afghanischer Staatsangehörigkeit reiste im September 2023 als unbegleitete minderjährige Ausländerin nach Deutschland ein. Sie war im Besitz eines griechischen Aufenthaltstitels und Flüchtlingspasses. Sie wurde nach § 42b SGB VIII dem Kreis als Antragsgegner zugewiesen und befindet sich seither in einem laufenden Asylverfahren. Der Antragsgegner leistete zunächst Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27, 34 SGB VIII in Form des teilbetreuten Wohnens. Ab der Volljährigkeit der Antragstellerin leistete der Antragsgegner jeweils auf Monate befristete Hilfe für junge Volljährige. In einer Stellungnahme im Rahmen des Hilfeplangesprächs an das Büro des Landrats des Antragsgegners wurde aus Sicht der pädagogischen Fachkräfte auch in Zukunft, mindestens bis zum 28. März 2025, die Begleitung der Antragstellerin als notwendig erachtet, um das bisher Erreichte weiter zu stabilisieren und nicht zu gefährden. Diesen Bericht zeichnete das Büro des Landrats am 23. August 2024 mit der Anmerkung „Begrenzung auf 31. Dezember 2024“ gegen. Der Antragstellerin wurde am 3. Dezember 2024 mitgeteilt, dass die Hilfe aufgrund einer Entscheidung des Landrats „für alle über 18-jährigen UMA“ die stationäre Unterbringung beendet werde und im Januar ein Umzug in eine Gemeinschaftsunterkunft organisiert werde.
Die Antragstellerin beantragte mit Schreiben vom 30. Dezember 2024 die Weitergewährung der Hilfe. Der Antragsgegner teilte daraufhin mit, dass der Umzug weiterhin für Mitte Januar 2025 geplant sei. Sodann beantragte die Antragstellerin im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes, den Antragsgegner zu verpflichten, die bisher gewährte Hilfe weiter zu gewähren.
Das Verwaltungsgericht München sieht den Antrag der Antragstellerin als begründet an. Sie habe einen Anspruch auf Hilfe für junge Volljährige nach §§ 41 in Verbindung mit § 34 SGB VIII, dem allein durch die teilbetreute Unterbringung in der die Antragstellerin auch bisher betreuenden Einrichtung Rechnung getragen werden könne, ausreichend glaubhaft gemacht.
Die Hilfe nach § 41 Abs. 1 S. 1 SGB VIII werde in der Regel nur bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt, in begründeten Einzelfällen auch für einen begrenzten Zeitraum darüber hinaus. Die Entscheidung über die Erforderlichkeit und Geeignetheit einer bestimmten Hilfemaßnahme unterliege einem kooperativen, sozialpädagogischen Entscheidungsprozess. Aufgrund der vorliegenden sozialpädagogischen Beurteilungen auf Weiterbewilligung der Hilfe bis zum 28. März 2025 hätte sich der Beurteilungsspielraum des Antragsgegners nach Ansicht des Gerichtes mindestens bis zu diesem Datum beengt und die Antragstellerin stehe der Anspruch auf Weitergewährung der Hilfe zu. Auch nach dem 28. März 2025 sei der Antragsgegner verpflichtet, ein ordnungsgemäßes Verfahren mit sozialpädagogischer Facheinschätzung durchzuführen.
VG München 12 BV 22.2344
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