Einrichtungsbegriff bei mehreren Einrichtungsteilen an verschiedenen Standorten
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. August 2017
Az. 5 C 1.16
Die Klägerin ist Trägerin einer viergruppigen Kindertagesstätte. Nach Übernahme der Trägerschaft einer eingruppigen Kindertagesstätte im Nachbarort beantragte sie beim zuständigen Landesjugendamt, die bestehende Betriebserlaubnis für die viergruppige Kindertagesstätte abzuändern und ihr eine einheitliche Betriebserlaubnis für eine fünfgruppige Kindertagesstätte, bestehend aus einer Haupt- und einer Nebenstelle, zu erteilen. Das Landesjugendamt lehnte den Antrag ab und führte zur Begründung aus, es läge nicht eine Einrichtung vor, da es am unmittelbaren örtlichen Zusammenhang fehle. Es handele sich vielmehr um zwei selbständige Einrichtungen.
Das Verwaltungsgericht Koblenz hat das beklagte Landesjugendamt verpflichtet, der Klägerin eine einheitliche Betriebserlaubnis zu erteilen. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz hat die Berufung des Beklagten zurückgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision des Landesjugendamtes mit der Begründung zurückgewiesen, dass eine Einrichtung im Sinne des SGB VIII auch aus zwei oder mehr Einrichtungsteilen bestehen könne, auch wenn diese in größerer Entfernung zueinander lägen. Es sei nicht erforderlich, dass sich die genutzten Räumlichkeiten „unter einem Dach“ befänden. Es genüge vielmehr, dass die Einrichtungsteile der Rechts- und Organisationssphäre des Trägers so zugeordnet seien, dass sie gemeinsam als Einrichtungsganzes anzusehen seien. Dies gelte jedenfalls dann, wenn die Einrichtungsteile alle im Zuständigkeitsbereich desselben überörtlichen Trägers der Jugendhilfe lägen.
Die Entscheidung ist auf der
Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts abrufbar.
Kein Mitvormund für unbegleiteten minderjährigen Flüchtling
Bundesgerichtshof, Beschluss vom 13. September 2017
Az. XII ZB 497/16
Der Betroffene reiste im Jahr 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland ein. Das zuständige Amtsgericht stellte das Ruhen der elterlichen Sorge fest und bestellte das Kreisjugendamt zum Amtsvormund. Dieses beantragte, die Vertretung des Minderjährigen bei der Aufenthaltssicherung nach dem Asyl- und Ausländerrecht einem insoweit fachkundigen Rechtsanwalt als Mitvormund zu übertragen.
Das Amtsgericht hat den Antrag abgelehnt. Die hiergegen gerichtete Beschwerde des Minderjährigen hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen.
Der Bundesgerichtshof (BGH) hat die hiergegen eingelegte Rechtsbeschwerde ebenfalls zurückgewiesen.
Zur Begründung führt der BGH aus, der Vormund müsse, wenn ihm die einschlägige Rechtskenntnis fehle, diesen Mangel an Eignung in eigener Verantwortung ausgleichen und fachspezifische Hilfe in Anspruch nehmen. Er müsse sich eigenständig um eine geeignete Rechtsberatung und anwaltliche Vertretung bemühen. Fehlten die dafür erforderlichen finanziellen Mittel, könne er auf Beratungs- und Prozess-/Verfahrenskostenhilfe zurückgreifen.
Auch das Europarecht führe zu keiner anderen Einschätzung. Ein Vormund müsse nicht alle Angelegenheiten seines Mündels in eigener Person sachkundig wahrnehmen können. Insbesondere in medizinischen und rechtlichen Fragen müsse er sich der Hilfe Dritter bedienen, ohne dass dies seine Eignung als Vormund in Frage stelle. Ein unbegleitet eingereister Minderjähriger dürfe insoweit nicht bessergestellt werden als ein Minderjähriger, der mit seinen Eltern eingereist ist.
Sie finden den Beschluss auf der
Internetseite des Bundesgerichtshofs.
Familiennachzug für subsidiär Schutzberechtigte aus Gründen des Kindeswohls
Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 7. November 2017
Az. VG 36 K 92.17 V
Mit Urteil vom 7. November 2017 hat das Verwaltungsgericht Berlin eine Entscheidung zum Familiennachzug getroffen. Darin überprüft das Gericht die Vereinbarkeit der Aussetzung des Familiennachzugs mit höherrangigem Recht, die mit dem sogenannten „Asylpaket II“ eingeführt wurde. Im Kern erklärt es die Aussetzung des Familiennachzugs für rechtmäßig, allerdings müssten die gesetzlich vorgesehenen Härtefallregelungen angewendet werden, insbesondere aus Gründen des Kindeswohls.
Geklagt hatten mehrere syrische Staatsangehörige, die den Zuzug zu ihrem Angehörigen in Deutschland erreichen möchten. Dieser war als unbegleiteter ausländischer Minderjähriger nach Deutschland eingereist und hat subsidiären Schutz erhalten. Sein Vormund hat einen Antrag auf Familiennachzug gestellt, der im weiteren Verlauf abgelehnt wurde. Mit der Klage macht der Vormund geltend, dass sein Mündel unter einer Traumatisierung und weiteren schwerwiegenden psychologischen Belastungen leide. Dies werde von der behandelnden Kinder- und Jugendpsychotherapeutin bestätigt. Die Zusammenführung mit der Familie sei daher psychotherapeutisch dringend notwendig.
Im Kern überzeugten das Gericht diese Gründe des Kindeswohls, weshalb die Erteilung der notwendigen Visa zum Zuzug nach Deutschland zugesprochen wurde. Zunächst stellte es fest, dass die Aussetzung des Familiennachzugs bis zum Stichtag 16. März 2018 gemäß § 104 Abs. 13 AufenthG grundsätzlich mit höherrangigem Recht vereinbar sei. Eine Differenzierung zwischen anerkannten Flüchtlingen und subsidiär Schutzberechtigten sei zulässig. Subsidiär Schutzberechtigten werde im Hinblick auf eine Sondersituation im Heimatland – ganz überwiegend Kriegsverhältnisse – zunächst in der Erwartung vorübergehender Schutz gewährt, dass eine Rückkehr in das Heimatland zu den dort verbliebenen Familienmitgliedern und keine dauerhafte Integration in die Gesellschaft des Aufnahmelandes erfolgt. Diese Erwartung bestehe bei wegen individueller Verfolgung anerkannten Flüchtlingen nicht. Bei diesen liege typischerweise eine dauerhafte Verlagerung des Lebensmittelpunktes vor.
Das Gericht stellte allerdings fest, dass in dem konkreten Fall die Ausnahmevorschriften der §§ 104 Abs. 13 S. 3, 22 AufenthG zu Unrecht nicht angewandt wurden. Hiernach kann einem Ausländer aus dringenden humanitären Gründen eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden. Dies beinhalte auch gewichtige Erwägungen des Kindeswohls. Da das Kindeswohl im vorliegende Fall erheblich und akut gefährdet sei, sei die Herstellung der Familieneinheit zwingend geboten.
Hier finden Sie das Urteil.
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