3. Rechtsprechung
Vergütung für Kindestagespflegepersonen
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Januar 2018
Az. 5 C 18.16
Die Klägerin arbeitet als Tagesmutter. Anfang September 2014 vereinbarte sie mit den Eltern eines Kindes, dieses montags bis freitags für jeweils vier Stunden täglich zu betreuen. Das Jugendamt der beklagten Stadt bewilligte den Eltern des Kindes daraufhin eine Tagespflege im Umfang von bis zu 20 Wochenstunden und gewährte der Tagesmutter zur Anerkennung ihrer Förderleistung 226,80 Euro monatlich. Entsprechend der Förderrichtlinien, erlassen durch den Rat der beklagten Stadt, setzte das Jugendamt dabei pauschal 2,70 Euro pro Stunde als Förderleistung an.
Die Klägerin klagte gegen die Höhe der Förderleistung, da sie ihrer Auffassung nach zu gering sei. Das Verwaltungsgericht Düsseldorf hat die beklagte Stadt verurteilt, den Antrag neu zu bescheiden. Das Oberverwaltungsgericht NRW hat das Urteil des Verwaltungsgerichts abgeändert und die Klage abgewiesen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat die Revision der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung führte es aus, dass dem Jugendhilfeträger bei der Festlegung des Betrags zur Anerkennung der Förderleistung nach § 23 SGB VIII ein Beurteilungsspielraum zustünde. Im vorliegenden Fall sei der festgelegte Betrag nicht zu beanstanden, insbesondere sei er nicht willkürlich. Die beklagte Stadt habe sich an den damals geltenden Tariflöhnen der in Kindertageseinrichtungen beschäftigten Erzieherinnen und Erzieher bzw. Kinderpflegerinnen und Kinderpfleger orientiert. Zwar liege der Betrag etwas darunter. Die beklagte Stadt habe aber zu recht berücksichtigt, dass Tagespflegepersonen in der Regel keine ähnlich qualifizierenden Berufsabschlüsse vorweisen könnten wie die in Kindertageseinrichtungen tätigen Personen.
Das Urteil ist noch nicht veröffentlicht. Weitere Informationen finden Sie in der
Pressemitteilung des Bundesverwaltungsgerichts.
Keine Anrechnung von Pflegeversicherungsgeld auf das Pflegegeld nach § 39 SGB VIII
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 24. November 2017
Az. 5 C 15.16
Die Beteiligten stritten über die Höhe des Pflegegeldes, welches für die Pflege und Erziehung eines Kindes gemäß § 39 SGB VIII zu gewähren ist.
Das 2005 geborene Kind lebt seit Mai 2008 bei den personensorgeberechtigten Pflegeeltern – den Klägern – in Vollzeitpflege. Das Kind ist mit einem Grad von 80 % als schwerbehindert anerkannt und erhält seit 2009 Pflegegeld der Stufe 1 gemäß § 37 SGB XI. Dieses betrug 235 € zum Zeitpunkt des streitigen Bescheides.
Die Stadt L, die bis November 2010 zuständig war, bewilligte für das Kind als Teil des Pflegegeldes nach § 39 SGB VIII den dreifachen Satz der Kosten für Pflege und Erziehung in Höhe von insgesamt 744 €. Dabei legte sie einen einfachen Satz von 248 € zugrunde. Anschließend ging die Zuständigkeit auf den Beklagten über. Er gewährte den Klägern zunächst Pflegegeld für die Kosten für Pflege und Erziehung gemäß § 39 SGB VIII in der von der Stadt L bewilligten Höhe, befristet bis zum 29. Februar 2012. Die Bewertung des Beklagten im Januar 2012 entsprach zwar dem dreifachen Satz für Pflege und Erziehung, er bewilligte jedoch mit Bescheid vom 9. Februar 2012 nur den zweifachen Satz und berücksichtigte bei der Bewertung des Mehrbedarfs die dem Kind gewährte Pflegeversicherungsleistung gemäß § 37 SGB XI. Dabei legte er einen einfachen Satz von 227 € zugrunde.
Gegen den Bescheid erhoben die Kläger Widerspruch. Sie waren der Ansicht, das Pflegegeld müsse in der bisher bewilligten Höhe weitergewährt werden. Der Beklagte wies den Widerspruch zurück.
Das Verwaltungsgericht wies die hiergegen erhobene Klage ab.
Die Berufung wurde vom Oberverwaltungsgericht zurückgewiesen.
Die Revision der Kläger hatte teilweise Erfolg.
Nach Ansicht des Bundesverwaltungsgerichts haben die Kläger einen Anspruch auf Berücksichtigung des dreifachen Satzes der Kosten für Pflege und Erziehung gemäß § 39 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 1 SGB VIII. Die Behinderung ihres Pflegekindes begründe nach der Bewertung des Pflegefalles durch das Jugendamt des Beklagten einen entsprechend erhöhten Bedarf in Pflege und Erziehung. Mangels gesetzlicher Grundlage könne keine Anrechnung des Pflegeversicherungsgeldes gemäß § 37 SGB XI auf das den Klägern zustehende Pflegegeld gemäß § 39 SGB VIII erfolgen.
Eine Leistungseinschränkung ergebe sich weder aus dem allgemeinen Grundsatz der Vermeidung staatlicher Doppelleistungen noch aus § 39 Abs. 4 Satz 3 SGB VIII, der grundsätzlich die Art und Weise der zu gewährenden Leistung regele und nicht die Ermittlung der Höhe.
Auch § 39 Abs. 1 in Verbindung mit Abs. 4 Satz 1 SGB VIII stelle keine Ermächtigungsgrundlage zur Anrechnung dar. Eine Befugnis zur Anrechnung von Leistungen ergebe sich weder aus dem Wortlaut noch aus der Systematik des § 39 SGB VIII. Dort habe der Gesetzgeber ausdrückliche Anrechnungsregelungen geschaffen. Dies spreche dafür, dass eine Anrechnung von Leistungen Dritter auf das Pflegegeld für die anderen Fälle – wie den hier vorliegenden – nicht möglich sein soll.
Auch aus dem systematischen Verhältnis von § 39 SGB VIII zu den §§ 91 ff SGB VIII, deren Fallkonstellationen wirtschaftlich betrachtet deutliche Parallelen zur hiesigen Streitfrage aufwiesen, sei eine Anrechnung ausgeschlossen. Eine Beteiligung an Kosten von Hilfemaßnahmen erfolge in der Regel im Verfahren der Heranziehung zum Kostenbeitrag aus dem Einkommen nach §§ 91 ff SGB VIII und nicht bereits bei der Leistungsgewährung.
Auch diene das Pflegeversicherungsgeld nach § 37 SGB XI einem anderen Zweck als das Pflegegeld gemäß § 39 SGB VIII und sei gemäß § 93 Abs. 1 Satz 4 SGB VIII nicht als Einkommen des Pflegekindes zu berücksichtigen.
Das Bundesverwaltungsgericht ist weiter der Ansicht, dass in Bezug auf die Höhe von 227 € des zugrunde gelegten einfachen Kostensatzes bei der Bemessung des Pflegegeldes der Beklagte nicht nach § 37 Abs. 2a SGB VIII verpflichtet gewesen sei, den Betrag der zuvor zuständigen Stadt L in Höhe von 248 € zu übernehmen. Zwar sei nach § 37 Abs. 2a Satz 1 und 2 SGB VIII die Höhe der laufenden Leistungen im Hilfeplan zu dokumentieren. Eine Abweichung hiervon sei nur bei Änderungen des Hilfebedarfs und entsprechender Änderung des Hilfeplans gemäß § 37 Abs. 2a Satz 3 SGB VIII zulässig. Im Interesse der Hilfekontinuität in Vollzeitpflegestellen solle diese Regelung sicherstellen, dass nicht allein durch Zuständigkeitswechsel Änderungen im Leistungsinhalt legitimiert würden. Aus dieser Regelung folge jedoch nicht, dass der zuständig gewordene Jugendhilfeträger bei der Bemessung des Pflegegeldes nach § 39 SGB VIII an die Höhe des pauschalierten Kostensatzes des Grundbetrages für Pflege und Erziehung des zuvor zuständigen Jugendhilfeträgers nach einem Zuständigkeitswechsel gebunden sei.
Sie können das Urteil auf der
Internetseite des Bundesverwaltungsgerichts abrufen.
Notwendigkeit und Geeignetheit einer Hilfe nach § 41 SGB VIII
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 13. Dezember 2017
Az. 1 B 136/17
Der Antragsteller begehrte im Wege des einstweiligen Rechtschutzes die Verpflichtung der Antragsgegnerin, ihm Hilfen für junge Volljährige nach § 41 SGB VIII zu gewähren.
Die Antragsgegnerin lehnte die beantragte Hilfe für junge Volljährige mit der Begründung ab, der Antragsteller benötige für die Persönlichkeitsentwicklung und eigenverantwortliche Lebensführung keine Unterstützung.
Auf Antrag des Antragstellers hat das Verwaltungsgericht Bremen mit Beschluss vom 21. Juni 2017 die Antragsgegnerin verpflichtet, dem Antragsteller Hilfe nach § 41 SGB VIII zu gewähren, Az. 3 V 3367/16. Mit Stellungnahme einer Diplom-Psychologin und Psychotherapeutin vom 16. November 2016 habe er einen spezifischen Hilfebedarf glaubhaft gemacht. Eine posttraumatische Belastungsstörung und eine rezidivierende depressive Störung wurden attestiert.
Gegen diesen Beschluss wandte sich die Antragsgegnerin mit der vorliegenden Beschwerde.
Das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen hat entschieden, dass die Beschwerde Erfolg hat.
Hilfe für junge Volljährige setze zwingend voraus, dass sowohl Beeinträchtigungen in der Persönlichkeitsentwicklung als auch in der Fähigkeit zur eigenständigen Lebensführung bestünden.
Zwar könne das Vorliegen einer psychischen Störung grundsätzlich geeignet sein, sowohl die Persönlichkeitsentwicklung zu behindern als auch die Fähigkeit zur eigenverantwortlichen Lebensführung zu beeinträchtigen. Im vorliegenden Fall sei der psychische Zustand des Antragstellers jedoch von der damals als aussichtslos empfundenen Aufenthaltsperspektive geprägt gewesen. Diese möglicherweise belastenden Umstände seien inzwischen weggefallen.
Die Unterstützungsbedürftigkeit in Wohnungs-, Schul- und Behördenangelegenheiten deute nicht auf ein vorhandenes Defizit in der Persönlichkeitsentwicklung hin. Die vorgetragenen Probleme beschrieben lediglich migrationstypische Schwierigkeiten bei der Integration in fremde Lebensverhältnisse und beruhten erkennbar nicht auf persönlichkeitsbezogenen Defiziten. Personen, bei denen andere Beeinträchtigungen bestehen, stünde kein Anspruch auf Hilfe nach § 41 SGB VIII zu.
Keine Beschlagnahme von Sozialdaten im Strafverfahren
Landgericht Oldenburg, Beschluss vom 25. Juli 2017
Az. 6 Qs 35/17
Die Staatsanwaltschaft führte ein Ermittlungsverfahren wegen Verdachts auf Kindesmisshandlung durch. In diesem Rahmen hat sie das Jugendamt zur Übermittlung der Akte des mutmaßlich betroffenen Kindes aufgefordert. Aufgrund des Sozialgeheimnisses hat der Mitarbeiter des Jugendamtes die Aktenübermittlung verweigert. Die Staatsanwaltschaft hat daraufhin am 18. April 2017 beim Amtsgericht Oldenburg einen Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss erwirkt, der noch nicht vollstreckt wurde. Gegen diesen Beschluss wendete sich das Jugendamt mit der sofortigen Beschwerde. Mittlerweise hat die Mutter des betroffenen Kindes ärztliche Unterlagen zur Ermittlungsakte gereicht.
Das Landgericht Oldenburg hat den Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Oldenburg vom 18. April 2017 aufgehoben.
Die sofortige Beschwerde sei erfolgreich. Die sozialrechtlichen Regelungen zur Datenübermittlung gemäß § 35 Abs. 2 SGB I in Verbindung mit den §§ 68 ff. SGB VIII gingen den strafprozessualen Eingriffsrechten zur Erlangung von Sozialdaten vor. Die Eingriffsrechte der Staatsanwaltschaft dürften nach §§ 160 Abs. 4, 161 StPO bundesgesetzlichen Verwendungsregeln – wie dem Sozialgeheimnis – nicht entgegenstehen. Die Jugendamtsakte des betroffenen Kindes enthielte auch geschützte Sozialdaten im Sinne des § 35 Abs. 1 SGB I in Verbindung mit § 67 Abs. 1 SGB VIII und unterliege somit dem Sozialgeheimnis aus § 35 SGB I.
Der angefochtene Durchsuchungs- und Beschlagnahmebeschluss verstoße gegen das Sozialgeheimnis. Jeder habe einen Anspruch aus § 35 Abs. 1 SGB I, dass die ihn betreffenden Sozialdaten nur Befugten zugänglich sind und auch nur an solche weitergegeben werden. Die Übermittlung von Sozialdaten für ein Strafverfahren regele § 73 Abs. 1 und 3 SGB X. Danach sei eine Übermittlung von Sozialdaten nur zulässig, soweit es sich um ein Strafverfahren wegen eines Verbrechens oder einer sonstigen Straftat von erheblicher Bedeutung handele. Eine (einfache) Körperverletzung fiele nicht hierunter. Auch seien § 73 Abs. 2 in Verbindung mit § 72 SGB X nicht einschlägig, da andere als die dort aufgeführten Daten übermittelt werden sollten. Eine Offenbarungspflicht ergebe sich auch nicht aus § 35 Abs. 2 SGB I in Verbindung mit § 69 SGB X. Das Jugendamt entscheide selbst nach eigenem Ermessen unter Berücksichtigung des Kindeswohls, inwieweit es in Erfüllung seiner Aufgaben an einem Strafverfahren mitwirke und Daten nach § 69 SGB X übermittele. Das Jugendamt sei hierzu nicht verpflichtet, mit Ausnahme des § 73 SGB X.
In Bezug auf die mittlerweile eingereichten Unterlagen wies das Landgericht Oldenburg darauf hin, dass ärztliche Unterlagen gemäß § 76 Abs. 1 SGB X besonders geschützt seien und nur herausgegeben werden dürften, wenn ein Einverständnis der Betroffenen bestehe. Weitere Unterlagen dürften nur unter Beachtung des besonderen Schutzes vertraulicher Informationen gemäß § 65 SGB VIII angefordert oder übermittelt werden. Es bestehe kein Vorrang des Strafverfolgungsinteresses gegenüber dem Vertraulichkeitsschutz in der öffentlichen Jugendhilfe. Es bedürfe auch insoweit der Einwilligung.
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