Hilfe zur Erziehung nach § 27 SGB VIII bei Unterbringung in einer Mutter-Kind-Einrichtung einer Justizvollzugsanstalt
Verwaltungsgericht Minden, Beschluss vom 31. Januar 2018
Az. 6 L 61/18
Die Antragstellerin ist für ihren knapp eineinhalbjährigen Sohn allein sorgeberechtigt. Ihr steht die Verbüßung einer voraussichtlich zehnmonatigen Freiheitsstrafe in einer Justizvollzugsanstalt (JVA) unmittelbar bevor, die vorgesehene JVA verfügt über eine Mutter-Kind-Einrichtung.
Um nicht als Erziehungsperson für das Kind auszufallen, begehrt sie im Wege einer einstweiligen Anordnung die Verpflichtung des Jugendamtes, ihr für ihren Sohn Hilfe zur Erziehung sowie Leistungen zum Unterhalt nach §§ 27, 39 SGB VIII durch Unterbringung und Betreuung in einer Mutter-Kind-Einrichtung einer JVA zu bewilligen.
Das Verwaltungsgericht (VG) Minden hat das Jugendamt zur Gewährung dieser Hilfe verpflichtet. Zur Begründung führt es aus, dass die begehrte Hilfe nach § 27 SGB VIII gewährt werden könne. Dabei handele es sich um eine atypische, neue Hilfeform, die in §§ 28 bis 35 SGB VIII nicht ausdrücklich genannt werde. Diese Hilfeform sei jedoch im Falle eines entsprechenden erzieherischen Bedarfs, der hier glaubhaft gemacht worden sei, vom Wortlaut des § 27 Abs. 2 SGB VIII erfasst. Auch grenze § 27 Abs. 3 SGB VIII das Spektrum möglicher Hilfen nicht ein, wie durch die Formulierung „insbesondere“ deutlich werde.
Ein Anspruch nach § 19 SGB VIII scheide aus, da es nicht um die Stärkung der Erziehungsfähigkeit der Antragstellerin gehe, sondern allein darum, wie die Erziehung und Betreuung des Sohnes während der Haftzeit zum Wohle des Kindes sichergestellt werden könne.
Beschluss des Verwaltungsgerichts Minden
Verjährung von jugendhilferechtlichen Erstattungsansprüchen
Verwaltungsgericht Freiburg, Urteil vom 2. Februar 2018
Az. 4 K 3025/15
Die Beklagte gewährte ab dem 10. Januar 1997 Hilfe zur Erziehung in Form von Vollzeitpflege.
Am 1. Februar 2000 übernahm der Kläger gemäß seiner Zuständigkeit nach § 86 Abs. 6 SGB VIII den Hilfefall. Außerdem machte der Kläger gegenüber der Beklagten seinen Kostenerstattungsanspruch geltend.
Die für die Zeit vom 9. Februar 2000 bis 31. Dezember 2001 geleistete Erstattung zahlte der Kläger der Beklagten in Annahme seiner eigenen Zuständigkeit seit dem 9. Februar 2000 zurück.
Im Jahr 2006 änderte der Kläger seine Auffassung, meldete Kostenersattungsansprüche nach § 89a SGB VIII an und bat um Rückerstattung der geleisteten Aufwendungen nach § 112 SGB X.
Der Beklagte wies den geltend gemachten Anspruch zurück. Am 4. Januar 2008 hat der Kläger beim Verwaltungsgericht Freiburg die vorliegende Klage erhoben. Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen.
Die Beteiligten beantragten am 6. Februar 2009 das Ruhen des Verfahrens und nahmen dabei Bezug auf die Zulassung der Berufung durch Beschluss des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 19. Juni 2008. Mit Beschluss vom 11. Februar 2009 ordnete das Gericht das Ruhen des Verfahrens ein.
Auf die Revision gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Februar 2011 entschied das Bundesverwaltungsgericht mit Urteil vom 13. Dezember 2013, Az. 5 C 25.11.
Am 30. Dezember 2015 nahm der Kläger das Verfahren wieder auf. Die eigene Rechtsauffassung sei durch das Bundesverwaltungsgericht bestätigt worden.
Die Beklagte ist der Auffassung, dass die Ansprüche für die Zeiträume von 2004 bis 2006 bereits verjährt seien, da die zwischen den Beteiligten im Jahr 2009 vereinbarte Hemmung der Verjährung mit dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts geendet habe. Die aus 2008 bis 2010 geltend gemachten Ansprüche seien ebenfalls verjährt, da sie in der Hemmungsvereinbarung nicht geltend gemacht worden seien.
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass nur die Ansprüche aus den Jahren 2004 bis 2005 verjährt sind.
Die Verjährung sei zunächst durch Erhebung der Klage am 4. Januar 2008 gehemmt worden, § 113 Abs. 2 in Verbindung mit § 204 Abs. 1 Nr. 1 BGB. Die Hemmung der Verjährung ende nicht dadurch, dass die Beteiligten das Verfahren nach Erlass des Ruhebeschlusses durch das Gericht vom 11. Februar 2009 zunächst nicht weiterbetrieben hätten.
Die Beteiligten hätten durch die Beantragung des Ruhens des Verfahrens zugleich eine sogenannte Hemmungsvereinbarung im Sinne von § 205 BGB getroffen. Ein bestimmter Zeitpunkt müsse nicht vereinbart werden. Es genüge, dass die Partner auf ein bestimmtes, aber offenes Ereignis abstellen. Die Voraussetzungen lägen vor.
Das Verwaltungsgericht Freiburg ist der Auffassung, dass die Verjährung jedoch nicht bis zur Wiederaufnahme des Verfahrens durch den Schriftsatz des Klägers vom 30. Dezember 2015 gehemmt gewesen sei.
Ein hinreichender Grund für eine Verlängerung der Verjährung über die Beendigung des Musterverfahrens hinaus sei nicht ersichtlich.
Spätestens im Zeitpunkt des Vorliegens der Urteilsgründe und deren Veröffentlichung in den Fachzeitschriten hätte den Beteiligten klar sein müssen, dass der Zweck der Hemmungsvereinbarung erreicht gewesen sei.
In Anlehnung an § 113 Abs. 2 SGB X in Verbindung mit § 204 Abs. 2 Satz 1 BGB nehme die Kammer weiter an, dass die Hemmung sechs Monate nach Kenntnis beziehungsweise Kennenmüssen vom Abschluss des Musterverfahrens endete.
Der Kläger habe einen Anspruch auf Erstattung der Aufwendungen für die Jahre 2006 bis 2010. Der Kläger habe keinen Anspruch auf Erstattung der Kosten für die Jahre 2004 bis 2005.
Entscheidung des Verwaltungsgerichts Freiburg
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