Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen durch das Bundesverfassungsgericht
Bundesgerichtshof (BGH), Beschluss vom 14. November 2018
Az. XII ZB 292/16
Der Bundesgerichtshof hat ein Verfahren, in dem es auf die Wirksamkeit einer im Ausland geschlossenen Kinderehe ankommt, ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht vorgelegt. Der Bundesgerichtshof ist der Überzeugung, dass Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017 (BGBl. I S. 2429) mit Art. 1, 2 Abs. 1, 3 Abs. 1 und 6 Abs. 1 GG unvereinbar ist.
Das Bundesverfassungsgericht wird nun prüfen, ob die beanstandete Regelung mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH)
Feststellung des gewöhnlichen Aufenthaltes
Oberverwaltungsgericht Lüneburg, Beschluss vom 7. Dezember 2018
Az. 10 LA 16/18
Vor Beginn der Leistung lebte das Kind bei seiner nicht sorgeberechtigten Mutter im Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Ab Mai 1999 lebte das betreute Kind bei den Pflegeeltern im Bereich des Klägers. Der Vater hatte ebenfalls kein Personensorgerecht inne und lebte in B.
Im Dezember 2004 zog die Mutter in eine Wohngemeinschaft für Drogenabhängige in B.
Der Kläger stellte beim Beklagten einen Antrag auf Kostenerstattung nach § 89 Abs. 1 SGB VIII, welcher seitens des Beklagten abgelehnt wurde.
Der Kläger hat beim Verwaltungsgericht Lüneburg Klage eingelegt.
Das Verwaltungsgericht Lüneburg hat am 25. April 2017 entschieden, dass der Beklagte bis Dezember 2004 nach § 89a Abs. 1 SGB VIII kostenerstattungspflichtig gegenüber dem Kläger gewesen sei, Az. 4 A 336/15.
Mit dem Wegzug der Mutter nach B habe die Kostenerstattungspflicht jedoch geendet und sei auf die Hansestadt B. übergegangen. Hiergegen richtet sich der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung.
Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg hat den Antrag auf Zulassung der Berufung abgelehnt.
Die Mutter habe in der Einrichtung ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Ausstattung und Ziele dieser Wohngemeinschaft rechtfertigen die Annahme, dass deren Bewohner sich dort bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibes aufhalten können. Es solle den Bewohnern zwar kein dauerhafter Aufenthalt ermöglicht werden, dieser sei aber auch nicht von vorherein zeitlich begrenzt.
Das Oberverwaltungsgericht ist der Auffassung, dass es für die Prüfung eines gewöhnlichen Aufenthaltes auf eine vorausschauende Betrachtung aus der Sicht zum Zeitpunkt der Aufenthaltsnahme ankomme, nicht auf eine Betrachtung im Nachhinein. Die vom Kläger angeführten Umstände, dass die Mutter bereits im Jahr 2005 die Einrichtung verließ und eine eigene Wohnung in C. mietete, griffen daher nicht.
Nach Ansicht des Oberverwaltungsgerichts ist die Zuständigkeit nach § 86 Abs. 1 SGB VIII im Dezember 2004 fiktiv auf die Hansestadt B. übergegangen, sodass diese gegenüber dem Kläger nach § 89a Abs. 3 SGB VIII kostenerstattungspflichtig sei.
Beschluss des Oberverwaltungsgericht Lüneburg
Altersfeststellung eines Flüchtlings nach § 42f SGB VIII mit gambischem Proxy-Pass
OVG Bremen, Beschluss vom 6 November 2018
Az. 1 B 184/18
Der Antragsteller begehrt seine vorläufige Inobhutnahme nach Jugendhilferecht. Er gibt an, gambischer Staatsangehöriger und am 25. Dezember 2002 geboren zu sein.
Am 13. April 2018 meldete sich der Antragsteller in einer Erstaufnahmeeinrichtung in Bremen, Ausweispapiere legte er nicht vor. Am 19. April 2018 fanden daher ein Erstgespräch und eine Alterseinschätzung durch das Jugendamt statt. Als Ergebnis der Alterseinschätzung wurde festgehalten, dass keine Zweifel daran bestünden, dass der Antragsteller eindeutig volljährig sei. Mit Bescheid vom 20. April lehnte die Antragsgegnerin daraufhin die vorläufige Inobhutnahme des Antragstellers ab.
Hiergegen legte der Antragsteller am 3. Mai 2018 Widerspruch ein und stellte am selben Tag beim Verwaltungsgericht einen Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss vom 3. Juli 2018 abgelehnt.
Hiergegen wendet sich der Antragsteller mit seiner Beschwerde. Nunmehr legte der Antragsteller einen Pass vor, mit dem seine Altersangabe bewiesen sei. Diesen Pass habe er nachträglich in Gambia durch seine dort lebende Mutter ausstellen lassen, welche zu diesem Zweck eine Geburtsurkunde vorgelegt habe. Die Echtheit des Passes an sich wurde festgestellt.
Eine medizinische Altersfeststellung hat der Antragsteller verweigert.
Das Oberverwaltungsgericht Bremen hat die Beschwerde des Antragstellers zurückgewiesen. Die Mitarbeiter des Jugendamtes seien zu Recht davon ausgegangen, dass der Antragsteller volljährig sei.
Zwar regele § 42f SGB VIII, dass das Jugendamt im Rahmen der vorläufigen Inobhutnahme der ausländischen Person gemäß § 42a SGB VIII deren Minderjährigkeit durch Einsichtnahme in deren Ausweispapiere festzustellen hat. Dies bedeute aber nicht schon, dass das in einem echten Reisepass angegebene Geburtsdatum für die Altersfeststellung in jedem Fall verbindlich sei. Der vorgelegte gambische Reisepass des Antragstellers biete keine ausreichende Gewähr für die Richtigkeit des darin ausgewiesenen Geburtsdatums. In Gambia sei es nach Erkenntnissen des Gerichts leicht möglich, echte, aber inhaltlich unrichtige Reisepässe zu erhalten. Nach Angaben des Auswärtigem Amtes sei in Gambia die Fälschung von Personenstandsdokumenten nicht nötig, da problemlos echte aber inhaltlich unrichtige Dokumente durch unwahre Angaben gegenüber der ausstellenden Behörde oder durch Bestechung beschafft werden könnten. Zudem handele es sich um einen sogenannten „Proxy-Pass“, welcher in Abwesenheit des Antragstellers erstellt wurde, und hinsichtlich der Richtigkeit auch wegen widersprüchlichen Angaben über die Unterschrift erheblichen Zweifeln begegne.
Demzufolge sei nach Ansicht des Gerichts kein ausreichender Identitätsnachweis erfolgt. Das Jugendamt habe die Altersfeststellung auf einer hinreichenden Erkenntnisbasis erstellt und begründet.
Beschluss des OVG Bremen
Rechtsmedizinische Altersfeststellung eines unbegleiteten Flüchtlings und Anordnung der Vormundschaft
OLG Hamm, Beschluss vom 23.10.2018
Az. 9 UF 104/18
Der nach eigenen Angaben minderjährige Flüchtling hält sich seit September 2017 in Deutschland auf. Bei seiner Erstaufnahme gab er an, am 16. Januar 2001 geboren zu sein, eine Feststellung des Alters konnte jedoch aufgrund fehlender Ausweisdokumente nicht vorgenommen werden. Zu seinen Eltern habe er keinen Kontakt mehr.
Am 18. September 2017 wurde der Betroffene vom Kreisjugendamt in Obhut genommen. Diese beantragte am 5. Oktober 2017 beim Amtsgericht, gemäß § 1674 BGB das Ruhen der elterlichen Sorge festzustellen und einen Amtsvormund nach § 1773 BGB zu bestellen.
Das zuständige Amtsgericht ordnete im November 2017 die Einholung eines medizinischen Gutachtens ein, um die Frage zu klären, ob der Betroffene mindestens 18 Jahre alt sei.
Am 20. Januar 2018 stellte der Gutachter fest, dass die Zusammenschau der Ergebnisse der körperlichen Untersuchung sowie der Röntgenbefunde der Hand, des Gebisses und der Schlüsselbeine für den Betroffenen zum Zeitpunkt der Untersuchung am 10. Januar 2018 ein absolutes Mindestalter von 17,1 Jahren sowie ein wahrscheinliches Lebensalter von ca. 18 Jahren ergebe.
Daraufhin wies das Amtsgericht die Anträge des Jugendamtes zurück, da der Betroffene das 18. Lebensjahr vollendet habe und damit nicht mehr minderjährig sei.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die Beschwerde des Jugendamtes vom 20. April 2018. Nach dem Ergebnis des Gutachtens müsse bei der Anwendung des Zweifelssatzes von dem angegebenen absoluten Mindestalter von 17,1 Jahren ausgegangen werden.
Das OLG Hamm hat der Beschwerde des Jugendamtes stattgegeben, da die Voraussetzungen für die Feststellung des Ruhens der elterlichen Sorge und für die Anordnung einer Vormundschaft vorlägen. So stellt das Gericht fest, dass für den Fall, dass auch nach Ausschöpfung aller verfahrensrechtlich möglichen und zulässigen Aufklärungsmöglichkeiten nach wie vor durchgreifende Zweifel an der Volljährigkeit des Betroffenen verbleiben, zur Vermeidung von Rechtsnachteilen zu seinen Gunsten von dessen Minderjährigkeit auszugehen ist. Der für die Überzeugungsbildung erforderliche Grad an Gewissheit über das Erreichen der Volljährigkeit könne im vorliegenden Fall nicht auf das „wahrscheinlichste Lebensalter“ gestützt werden. Das angegebene „wahrscheinlichste Lebensalter“ bedeute nicht, dass dieses Alter aus medizinischer Sicht in einem besonders hohen Maß an Wahrscheinlichkeit anzunehmen sei, sondern nur mit „überwiegender“ Wahrscheinlichkeit, welche letztlich in einer Größenordnung von 50% liege. Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass bei einem durch Sachverständigengutachten ermittelten „absoluten Mindestalter“ unterhalb der Volljährigkeitsgrenze regelmäßig im Zweifel zugunsten des Betroffenen von dessen Minderjährigkeit auszugehen ist.
Beschluss des OLG Hamm
Kein Familiennachzug für Kinderehe
Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 28. September 2018
Az. 3 K 349.16 V
Die im Jahre 2000 geborene Klägerin heiratete mit Zustimmung ihres Vaters im Januar 2015 in Syrien den 1991 geborenen Beigeladenen. Beide sind syrische Staatsangehörige. Ende Juli 2015 floh der Beigeladene in die Bundesrepublik Deutschland und wurde vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge als Flüchtling anerkannt. Die Klägerin flüchtete mit ihrer Familie im September 2015 in die Türkei, wo sie seitdem lebt.
Ihren Antrag auf Erteilung eines Visums zum Ehegattennachzug zum Beigeladenen lehnte das Deutsche Generalkonsulat in Istanbul unter Hinweis auf die Minderjährigkeit der Klägerin mit Bescheid vom 11. April 2016, bestätigt durch Remonstrationsbescheid vom 12. Juli 2016, ab.
Gegen den Remonstrationsbescheid hat die Klägerin am 23. August 2016 Klage erhoben.
Das Verwaltungsgericht Berlin hat die zulässige Klage als unbegründet abgewiesen.
Der Nachzugsanspruch gemäß §§ 6 Abs. 3 S. 1 und 2, 29 Abs. 1 und 2, 30 Abs. 1 Aufenthaltsgesetz (AufenthaltsG), wonach dem Ehegatten eines Ausländers, der eine Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 2 AufenthaltsG besitzt, unter dort näher bezeichneten Voraussetzungen ein Visum zu erteilen ist, setze eine wirksame Ehe voraus. Die Bestimmung des § 30 Abs. 1 AufenthaltsG diene dem verfassungsrechtliche durch Art. 6 Abs. 1 GG gewährleisteten Schutz von Ehe und Familie. Maßgeblich für die Beurteilung der Wirksamkeit der Ehe sei grundsätzlich die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Entscheidung der Kammer.
An den Voraussetzungen einer wirksamen Ehe fehle es hier. Nach dem syrischen Heimatrecht sei die Ehe der Klägerin zwar gültig, weil das syrische Personalstatusgesetz Mädchen die Eheschließung mit Zustimmung des Ehevormunds, hier des Vaters, ab Vollendung des 13. Lebensjahres gestatte. Die Ehe der Klägerin mit dem Beigeladenen ist jedoch nach Auffassung des Gerichts im deutschen Rechtskreis nicht wirksam, es liege eine „hinkende“ Ehe vor. Dies folge aus Art. 13 Abs. 3 Nr. 1 EGBGB in der Fassung des Art. 2 Nr.1 a des Gesetzes zur Bekämpfung von Kinderehen vom 17. Juli 2017. Im deutschen Rechtskreis regelt die Neufassung von § 1303 S. 2 BGB, dass eine Person, die das 16. Lebensjahr nicht vollendet hat, eine Ehe nicht wirksam eingehen kann. Diese Regelung diene dem Kindeswohl und verstoße weder gegen das Rückwirkungsverbot noch gegen das Recht auf Ehe und Familie nach Art 6 Abs. 1 GG. Gerade die Ehemündigkeit der Verlobten und das Konsensualprinzip verkörperten Kernmerkmale des Rechtsinstituts der Ehe und die Ehe der Klägerin sei wegen Verstoßes dagegen nicht dem Schutzbereich von Art. 6 Abs. 1 GG unterstellt.
Darüber hinaus sei es der mittlerweile volljährigen Klägerin auch nicht gänzlich verwehrt, nach Deutschland zu kommen. Sie könne ggf. einen neuen Visumsantrag zum Zwecke der Wiederholung der Eheschließung stellen.
Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Sache hat die Kammer die Berufung zum Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zugelassen.
Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
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