Arbeitsgesetz findet Anwendung auf (erzieherische) Tätigkeiten nach dem WaB-Modell
Bundesverwaltungsgericht (BVerwG), Urteil vom 8. Mai 2019
Az. BVerwG 8 C 3.18
Die Klägerin ist eine anerkannte freie Trägerin der Kinder- und Jugendhilfe und leitet in dieser Funktion Wohngruppen von etwa sechs Kindern und Jugendlichen, die von jeweils drei Erziehern betreut werden. Im Rahmen dieser alternierenden Betreuung bedient sie sich des WaB-Modells. Monatlich werden individuelle Dienstpläne für die Erzieher erstellt.
Über einen längeren Zeitraum waren sich die Klägerin und der Beklagte, das Landesamt für Arbeitsschutz, Gesundheitsschutz und technische Sicherheit Berlin (LAGetSi), dabei uneinig darüber, ob das Arbeitszeitgesetz auf die Erzieher Anwendung findet. Daraufhin richtete sich die Klägerin vor dem VG Berlin gegen eine Anordnung des Beklagten vom 8. Januar 2014, der zufolge sie bei der Gestaltung der Dienstpläne auf tägliche Arbeitszeiten von maximal zehn Stunden sowie Einhaltung der Ruhezeiten achten solle. Die Dienstpläne seien der Beklagten zudem vorzulegen. Widerspruch und Klage hatten keinen Erfolg.
Auch die Berufung wurde von dem Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg zurückgewiesen.
Schließlich beantragte die Klägerin Revision gegen das Berufungsurteil mit der Begründung, dass dieses an mehreren Verfahrensfehlern leide und das Gericht den Regelungsgehalt des § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG verkannt habe. Die Anordnung sei darüber hinaus auch ermessenfehlerhaft erfolgt. Der Beklagte beantragte, die Revision zurückzuweisen.
Das BVerwG hält die Revision für unbegründet.
Nach Ansicht des BVerwG findet § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG, welcher solche Arbeitnehmer vom Anwendungsbereich des ArbZG ausschließt, die in häuslicher Gemeinschaft mit den ihnen anvertrauten Personen zusammenleben und sie eigenverantwortlich erziehen, pflegen oder betreuen, keine Anwendung auf die nach dem WaB-Modell tätigen Erzieher. Dies habe das Berufungsgericht zutreffend erkannt.
Die Erzieher müssten nach § 18 Abs. 1 Nr. 3 ArbZG zunächst in häuslicher Gemeinschaft zusammenleben, was insbesondere dann anzunehmen ist, wenn ein auf Dauer angelegtes gemeinsames Wohnen und Wirtschaften festgestellt werden kann. Ausschlaggebend hierfür sei nach dem Willen des Gesetzgebers vor allem, dass sich Arbeits- und Ruhezeiten aufgrund ständiger Verfügbarkeit nicht bzw. kaum voneinander trennen ließen. Systematisch und teleologische betrachtet spreche hierfür auch, dass sich die in § 18 Abs. 1 ArbZG genannten Personengruppen größtenteils mit den Vorgaben in Art. 17 Abs. 1 der Richtlinie 2003/88/EG deckten. Die Norm weise damit eine deutliche unionsrechtliche Prägung auf, die somit für ihre Auslegung maßgeblich sei.
Aus den durch die Klägerin erstellten Dienstplänen ergäben sich im Voraus festgelegte Arbeitszeiten. Die Phasen seien auf zwei bis sieben Tage beschränkt, womit die Arbeits-und Ruhezeiten auch voneinander zu trennen seien.
Eine richtlinienkonforme Auslegung des Arbeitszeitgesetzes ergebe, dass nur „besondere“ Eigenschaften der Tätigkeit, die hier nicht gegeben seien, eine Ausnahmeregelung rechtfertigten. § 18 Abs.1 Nr. 3 ArbZG sei daher nicht auf die Erzieher in den WaB-Gruppen anwendbar. Stattdessen finde das Arbeitsgesetz hier Anwendung.
Die Anwendung des § 17 Abs. 2 ArbZG auf die Erzieher werde durch das BVerwG daher nicht beanstandet und widerspreche nicht geltendem Bundesrecht. Der Beklagte könne mithin die erforderlichen Maßnahmen anordnen, die der Arbeitgeber zur Erfüllung der sich aus diesem Gesetz und den auf Grund dieses Gesetzes erlassenen Rechtsverordnungen ergebenden Pflichten zu treffen hat.
Die Klägerin habe wiederholt gegen die durch das Arbeitszeitgesetz in §§ 3 ff. ArbZG festgesetzten Arbeitshöchstzeiten verstoßen. Das Berufungsgericht habe damit zu Recht das Vorliegen der Voraussetzungen des § 17 Abs. 2 ArbZG festgestellt. Die Anordnungen seien zur Einhaltung der bezeichneten Bestimmungen auch erforderlich.
Ein intendiertes Ermessen der zuständigen Behörde bezüglich der Rechtsfolge lehnt das Revisionsgericht entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts allerdings ab. Nach dem Wortlaut des § 17 Abs. 2 ArbZG handele es sich um eine Generalklausel, die keine Einschränkungen des behördlichen Ermessens vorsehe. Historisch gesehen habe § 17 ArbZG den bis dahin geltenden § 27 ArbZO ersetzt. Danach wurde den Behörden gem. § 139b GewO in Anwendung der polizei- und ordnungsrechtlichen Generalklauseln ein pflichtgemäßer Ermessensspielraum zugestanden. Mit der Ablösung der Vorschrift habe der Gesetzgeber keine Änderung der Rechtsfolgenseite bezweckt. Daraus folge, dass der Handlungsspielraum der Behörde nicht eingeschränkt werden solle.
Trotz dieser fehlerhaften Annahme des Berufungsgerichts, erweise sich das Berufungsurteil im Ergebnis als zutreffend. Eine einvernehmliche Lösung der Beteiligten sei nicht zu erwarten. Die Anordnung nach § 17 Abs. 2 ArbZG erscheine erforderlich. Der Beklagte habe sein Ermessen damit fehlerfrei ausgeübt. Die Revision hat keinen Erfolg.
Urteil des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG)
Unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang auch zwischen der Herausnahme des Kindes aus dem Haushalt der Pflegeperson und der zu treffenden Entscheidung im Rahmen von § 1632 Abs. 4 BGB erforderlich
Oberlandesgericht (OLG) Frankfurt, Beschluss vom 29. März 2019
Az. 5 UF 15/19
Beschwerdeführerin ist die Großmutter väterlicherseits eines minderjährigen Kindes. Schon bevor den Eltern mit Beschluss vom 16. Juli 2014 das Sorgerecht entzogen wurde, lebte das Kind bei ihr. Sachverständigengutachten ergaben zunächst, dass kein Grund für eine Herausnahme des Kindes vorlag.
Das Kind hatte eine Betreuerin nach einem Ausflug am 24. August 2018 darum gebeten, nicht mehr zu seiner Großmutter zurückgebracht zu werden, da diese ihm im Rahmen einer Auseinandersetzung auf den Po geschlagen habe. Daraufhin nahm das Jugendamt das Kind nach § 42 Abs. 1 Nr. 1 SGB VIII in Obhut. Kurze Zeit später wurde es in einer betreuten Wohngruppe untergebracht; von dort aus pflegt es regelmäßig Kontakt zu seinen Eltern und der Großmutter.
Am 2. Oktober 2018 hatte der Verfahrensbevollmächtigte der Beschwerdeführerin den Amtsvormund angewiesen, den ständigen Aufenthalt des Kindes in ihrem Haushalt zu bestimmen.
Das Amtsgericht wies den Antrag nach vorheriger Verhandlung sowie Anhörungen des Kindes mit Beschluss vom 19. Dezember 2018 zurück, da die Großeltern nicht ausreichend erziehungsgeeignet seien, insbesondere aber sei das Wohl des Kindes nicht durch die Wegnahme aus deren Haushalt gefährdet.
Gegen diesen Beschluss richtet sich die zulässige Beschwerde der Großmutter nach §§ 58 ff. FamFG. Sie hatte keinen Erfolg.
Nach Ansicht des Gerichts biete § 1837 BGB keine hinreichende Rechtsgrundlage für das Familiengericht, um ein Weisungsrecht hinsichtlich der Ausübung der elterlichen Sorge gegenüber dem Vormund auszuüben.
Durch zweckgemäße Auslegung des § 1632 Abs. 4 BGB könne von der Pflegeperson zwar nicht nur der Verbleib, sondern auch die Herausgabe des Kindes beansprucht werden, um es wieder in den Haushalt zurückzuführen. Allerdings sei hierfür ein unmittelbarer zeitlicher Zusammenhang der Herausgabe mit der Einleitung des Verfahrens nach § 1632 Abs. 4 BGB erforderlich.
Dieser Zusammenhang sei bei einem Zeitraum von fünf Wochen nicht zweifelsfrei gegeben. Jedenfalls müsse im Zeitpunkt der zu treffenden Entscheidung dieser Zusammenhang noch bestehen. Dies ergebe sich aus dem Schutzzweck des § 1632 Abs. 4 BGB, welcher das Kind vor Schädigungen durch Bindungsabbrüche schützen soll. Dieser Zweck könne ansonsten nicht mehr erreicht werden.
Hier liegt die Herausnahme des Kindes schon mehr als sieben Monate zurück. Eine Anhörung ergab, dass es sich sichtlich wohl in seinem neuen Zuhause fühlt und der Kontakt zu seiner Familie, insbesondere seiner Großmutter, weiterhin besteht.
Eine Kindeswohlgefährdung entsprechend § 1632 Abs. 4 BGB wurde deshalb verneint, der Beschwerdeführerin verbleibt ein Umgangsrecht nach § 1685 Abs. 1 BGB. Der Vormund hat weiterhin zu entscheiden, wo der gewöhnliche Aufenthalt des Kindes liegen soll.
Beschluss des Oberlandesgerichts (OLG) Frankfurt
Auslandsaufenthalt lässt Anspruch auf Leistungen nach UVG nicht entfallen
OVG Berlin-Brandenburg, Urteil vom 14. Juni 2019
Az. 6 B 8.18
Die Klägerin beantragte im Juli 2017 Unterhaltsvorschussleistungen für ihren im Mai 2000 geborenen Sohn und gab an, dieser besuche von August 2017 bis Juni 2018 eine staatliche Tagesschule in Großbritannien und wohne während dieser Zeit bei einer Gastfamilie. Mit Bescheid vom Oktober 2017 lehnte der Beklagte den Antrag mit der Begründung ab, der Sohn der Klägerin lebe nicht mit dieser in einem Haushalt. Auf den Widerspruch der Klägerin bewilligte er mit Widerspruchsbescheid vom Januar 2018 Unterhaltsvorschussleistungen für den Monat Juli 2017 und wies den Widerspruch im Übrigen zurück.
Dagegen klagte die Klägerin im Februar 2018 beim Verwaltungsgericht, welches den Beklagten verpflichtete, Unterhaltsvorschussleistungen auch für die eingeklagte Zeit von August 2017 bis Januar 2018 zu bewilligen. Der Mittelpunkt der Lebensbeziehungen des Sohnes liege trotz Auslandsaufenthalts bei der Klägerin.
Hiergegen legte der Beklagte Berufung ein.
Das OVG Berlin-Brandenburg wies die zulässige Berufung zurück. Das Verwaltungsgericht habe der Klage zurecht stattgegeben.
Die Anspruchsvoraussetzungen des § 1 Abs. 1 und Abs. 1a UVG seien im vorliegenden Fall erfüllt. Der Sohn der Klägerin lebte nach Ansicht des Gerichts auch während seines Schulbesuchs im Ausland bei „einem seiner Elternteile“ im Sinne des § 1 Abs. 1 Nr. 2 UVG. Der Fortbestand einer häuslichen Gemeinschaft mit einem Elternteil richte sich bei einer vorübergehenden Trennung nicht nach einer schematischen Betrachtung, ob der Aufenthalt länger oder kürzer als sechs Monate sei, sondern nach einer Einzelfallbetrachtung, in deren Rahmen zu beurteilen ist, ob der ansonsten bestehende Betreuungszeitraum durch die vorübergehende Abwesenheit aufgehoben würde. Dies sei im vorliegenden Fall nicht gegeben. Die Gesamtbetrachtung ergebe, dass der Auslandsaufenthalt vorübergehenden Charakter gehabt habe, der den Betreuungszusammenhang nicht unterbrochen habe. Die Verantwortung in finanzieller und organisatorischer Hinsicht sei nach wie vor bei der Klägerin verblieben.
Urteil des OVGs Berlin-Brandenburg
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