Verfassungsbeschwerde gegen Verbleibensanordnung
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 12. Februar 2021
Az. 1 BvR 1780/20
Ein Kind, das seit kurz nach der Geburt bei Pflegeeltern lebte, wurde in einer Wohngruppe untergebracht, als bekannt wurde, dass der Pflegevater wegen des Besitzes und der Verbreitung kinderpornografischer Inhalte verurteilt worden war. Die Pflegeeltern scheiterten mit ihrem Antrag auf eine gerichtliche Verbleibensanordnung. Nach der Trennung von ihrem Ehemann obsiegte die Pflegemutter mit ihrer Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) Brandenburg. Das Gericht sah das Kindeswohl durch einen Beziehungsabbruch zur Pflegemutter gefährdet. Die Gefahr einer Trennung zum Schein sei ebenso berücksichtigt worden, wie die Feststellung, dass Grund für die Trennung allein der Verlust des Kindes war.
Das Jugendamt hat als Amtsvormund für das Kind erfolgreich Verfassungsbeschwerde gegen die Rückkehrentscheidung erhoben. Das Bundesverfassungsgericht hat dem Begehren auf Grundlage der Schutzpflicht des Staates nach Artikel 2 Absatz 1 und 2 in Verbindung mit Artikel 6 Absatz 2 Grundgesetz stattgegeben. Das OLG habe sich nicht ausreichend mit den fachlichen Einschätzungen unter anderem des Jugendamts auseinandergesetzt, die die Ernsthaftigkeit der Trennung und die Verhinderung eines unbeaufsichtigten Kontakts durch die Pflegemutter in Zweifel zogen.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Anerkennung der Mit-Mutter als rechtlicher Elternteil
Kammergericht Berlin, Beschluss vom 24.03.2021
Az. 3 UF 1122/20
Das Kind der gleichgeschlechtlichen Ehepartnerinnen ist durch künstliche Befruchtung mittels einer anonymen Samenspende zur Welt gekommen. Die Mutter, die Mit-Mutter und das Kind haben erfolglos beim Familiengericht die Feststellung beantragt, dass zwischen dem Kind und der Ehefrau der Mutter ein Eltern-Kind-Verhältnis besteht. Auf die daraufhin eingelegte Beschwerde hat das Kammergericht Berlin das Verfahren gemäß Artikel 100 Absatz 1 Grundgesetz (GG) ausgesetzt und die Vorlage beim Bundesverfassungsgericht beschlossen. Das Gericht hält § 1592 Nummer 1 Bürgerliches Gesetzbuch (BGB) für verfassungswidrig. Nach der Regelung wird der Ehemann einer Mutter rechtlicher Vater, wenn das Kind während der Ehe geboren wird. Eine solche Regelung gibt es für die Lebenspartnerin der Mutter nicht. Nur im Wege der Adoption kann sie zum Elternteil des Kindes werden. Darin sieht das Gericht einen Verstoß gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Artikel 3 Absatz 1 GG, weil es an einem sachlichen Grund für die Ungleichbehandlung fehle und die Mit-Mutter diskriminiere.
Beschluss des Kammergerichts Berlin
Anforderungen an Rückkehrentscheidungen gegen unbegleitete minderjährige Geflüchtete
Europäischer Gerichtshof, Urteil vom 14. Januar 2021
Az. C - 441/19
Im Juni 2017 stellte ein unbegleiteter, aus Guinea stammender Minderjähriger in den Niederlanden einen Antrag auf eine befristete Aufenthaltserlaubnis als Asylbewerber. Ein Jahr später wurde der Antrag des damals 16-Jährigen abgelehnt. Hiergegen hat der geflüchtete Minderjährige Klage eingelegt und vorgetragen, dass er den Aufenthaltsort seiner Eltern nicht kenne, sie nicht wiedererkennen würde und auch keine anderen Familienangehörigen habe. Das Gericht hat darauf hingewiesen, dass zwar kein aufenthaltsrechtlicher Schutz mangels Flüchtlingseigenschaft bestehe, die niederländische Ausländerverordnung regele aber, dass nur bei unter 15-jährigen Geflüchteten eine Prüfung stattfindet, ob im Rückführungsstaat eine geeignete Aufnahmemöglichkeit vorhanden ist. Diese Regelung sei mit europäischem Gemeinschaftsecht unvereinbar. Daran ändere auch nichts, dass in der Praxis bis zur Volljährigkeit abgewartet werde, bis die Rückkehrentscheidung umgesetzt wird. Das Gericht hat die Frage, ob hier zwischen über und unter 15-Jährigen unterschieden werden dürfe, dem Europäischen Gerichtshof (EuGH) vorgelegt.
Der EuGH hat entschieden, dass Mitgliedstaaten bei Erlass von Rückkehrentscheidungen, die unbegleitete minderjährige Geflüchtete betreffen, in allen Stadien des Verfahrens zwingend das Kindeswohl zu berücksichtigen haben. Stets sei eine umfassende und eingehende Beurteilung der Situation des betreffenden Minderjährigen erforderlich. Zudem sehe die Richtlinie vor, dass sich die Behörden vor der Umsetzung einer Abschiebung des Minderjährigen vergewissern müssen, dass er einem Mitglied seiner Familie, einem offiziellen Vormund oder einer geeigneten Aufnahmeeinrichtung übergeben wird. Der Europäische Gerichtshof hat damit festgestellt, dass schon vor Erlass einer Rückkehrentscheidung eine Überprüfung einer geeigneten Aufnahmemöglichkeit zu erfolgen hat. Dies folge aus dem Kindeswohlprinzip, da ansonsten für den Minderjährigen eine große Unsicherheit hinsichtlich seiner Rechtsstellung und seiner Zukunft entstehe. Das Alter des Minderjährigen stelle zwar im Rahmen der Prüfung einen von mehreren Gesichtspunkten dar, die Durchführung einer Überprüfung einer geeigneten Aufnahmemöglichkeit als solche habe jedoch stets unabhängig vom Alter zu erfolgen.
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs
Übernahme der örtlichen Zuständigkeit nach § 88a Abs. 2 Satz 3 SGB VIII
Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen, Beschluss vom 15. März 2021
Az. 2 B 361/20
Der Antragssteller wurde als unbegleiteter, ausländischer Minderjähriger nach der vorläufigen Inobhutnahme gemäß § 42b SGB VIII dem Landkreis Vorpommern-Greifswald zugewiesen. Dieser brachte den Antragssteller in einer Einrichtung im Bereich der Antragsgegnerin unter und gewährte im Anschluss an die Hilfe zur Erziehung Hilfe für junge Volljährige.
Im Juli 2020 stellte der Antragssteller bei der Antragsgegnerin einen Antrag auf Übernahme der örtlichen Zuständigkeit, welcher abgelehnt wurde. Hiergegen hat der Antragssteller Widerspruch eingelegt und beim Verwaltungsgericht Bremen den Erlass einer einstweiligen Anordnung beantragt, mit der die Antragsgegnerin zur Übernahme der Zuständigkeit verpflichtet werden sollte.
Das Verwaltungsgericht hat den Antrag mit Beschluss abgelehnt. Es sei nicht ausreichend dargelegt, was sich an seiner Situation durch eine Übernahme verbessern würde.
Mit seiner Beschwerde verfolgte der Antragssteller sein Begehren auf einstweiligen Rechtsschutz weiter. Das Oberverwaltungsgericht der Freien Hansestadt Bremen hat die Beschwerde zurückgewiesen.
Ein Anspruch auf Übernahme könne aufgrund der mittlerweile eingetretenen Volljährigkeit nicht mehr unmittelbar aus § 88a SGB VIII folgen, dafür sei aber ab der Volljährigkeit § 86a Abs. 4 SGB VIII anzuwenden. Danach bleibt der Jugendhilfeträger zuständig, der bis zum Zeitpunkt des 18. Lebensjahres zuständig war. Diese Zuständigkeitsbindung greife aber nicht, wenn die bisherige Zuständigkeit rechtwidrig begründet wurde. Hatte der Antragsteller vor dem 18. Lebensjahr einen Anspruch auf Übernahme der Zuständigkeit, sei die rechtmäßige und nicht die rechtswidrige Zuständigkeit des Landkreises Vorpommern-Greifswald fortzuführen.
Ebenso stehe der Anwendung des § 88a Absatz 2 Satz 3 SGB VIII nicht entgegen, dass § 88a Absatz 2 SGB VIII nur die Zuständigkeit für eine Inobhutnahme regele. Bereits im März 2018 habe die Arbeitsgemeinschaft der obersten Landesjugend- und Familienbehörden beschlossen, dass eine freiwillige Fallübernahme auch bei einer Hilfe zur Erziehung erfolgen könne.
Im Ergebnis könne aber dahinstehen, ob der Antragssteller unmittelbar vor Vollendung des 18. Lebensjahres einen Anspruch auf Übernahme der Zuständigkeit durch die Antragsgegnerin hatte. Die Beschwerde lege keine Nachteile dar, die dem Antragsteller aufgrund der nicht erfolgten Übernahme durch die Antragsgegnerin entstanden sind.
Beschluss des Oberverwaltungsgerichts der Freien Hansestadt Bremen
Akteneinsicht in Jugendhilfeakten
Verwaltungsgericht München, Beschluss vom 2. Oktober 2020
Az. M 18 E 20.3970
Die nicht sorgeberechtigte Mutter eines Kindes beantragte Akteneinsicht in alle beim Jugendamt zu ihrem Sohn geführten Akten. Das Jugendamt verweigerte die Einsichtnahme mit der Begründung, dass die Verfahren zu den meisten Akten bereits abgeschlossen seien, die Mutter in Bezug auf die Mitwirkung des Jugendamts in familiengerichtlichen Verfahrens keine Verfahrensbeteiligte und im Übrigen der Sozialdatenschutz vorrangig sei. Die Mutter beantragte sodann den Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Verwaltungsgericht hat die Ansicht des Jugendamts bestätigt. Der Antragstellerin stehe kein Akteneinsichtsrecht nach § 25 Absatz 1 SGB X zu, da ein solches nur im Rahmen eines laufenden Verwaltungsverfahrens bestehe. Die betreffenden Akten zu Verfahren in den Bereichen Unterhaltsbeistandschaft, Unterhaltsvorschuss und wirtschaftliche Hilfen seien im Zeitpunkt der Antragstellung bereits rechtskräftig abgeschlossen gewesen.
Soweit Akteneinsicht in Akten der Familiengerichtshilfe nach § 50 SGB VIII verlangt wurde, fehle es bereits an einem Verwaltungsverfahren im Sinne des § 8 SGB X. Die Mitwirkung des Jugendamts im familiengerichtlichen Verfahren gehöre nicht zu den Leistungen der Jugendhilfe und die Tätigkeit sei nicht nach außen auf den Erlass eines Verwaltungsakts oder den Abschluss eines öffentlich-rechtlichen Vertrags gerichtet.
Dem Recht auf Einsicht in die Akten des Allgemeinen Sozialdienstes in Bezug auf Gefährdungsmitteilungen und allgemeine Beratung stehe der Sozialdatenschutz des § 65 SGB VIII entgegen. Sozialdaten, die einem Mitarbeitenden eines Trägers der öffentlichen Jugendhilfe zum Zwecke persönlicher oder erzieherischer Hilfe anvertraut worden sind, dürfen danach von diesem grundsätzlich nur mit der Einwilligung der Person, die die Daten anvertraut hat, weitergegeben und übermittelt werden. Nur bei Vorliegen klar definierter Ausnahmetatbestände ist eine Weitergabe der Daten ohne Einwilligung zulässig. Eine Ausnahme läge nicht vor.
Hinsichtlich ärztlicher Atteste zum Gesundheitszustand des Kindes, polizeilicher Mitteilungen und Korrespondenz mit dem Kindsvater habe sich das Jugendamt zu Recht auf das Weitergabeverbot des § 25 Abs. 3 SGB X gestützt.
Beschluss des Verwaltungsgerichts München
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