Rechtswidrige Inobhutnahme durch das Jugendamt
OVG Münster, Beschluss vom 7. Februar 2022
Az. 12 A 1402/18
Die Klägerin ist alleinerziehende und sorgeberechtigte Mutter der beiden Kinder K und O und wendet sich mit der Klage gegen die Inobhutnahme ihres Sohnes K. K leidet unter dem Asperger-Syndrom. Im Laufe seiner Betreuung in Kindergarten und Grundschule kam es fortlaufend zu erheblichen Problemen mit K, welcher ein sehr aggressives Verhalten zeigte; auch mit der Klägerin, die ebenfalls auffällig und aggressiv handelte. Seit der Geburt von K erfolgten verschiedene Gefährdungsmeldungen, akute Kindeswohlgefährdungen wurden in diesem Zusammenhang aber letztlich nie festgestellt.
Nach erneuten Vorfällen erfolgte eine Meldung über eine Kindeswohlgefährdung durch die Klassenlehrerin des K. Es fand ein Gespräch statt mit dem beklagten Jugendamt, in welchem er große Angst vor seiner Mutter, der Klägerin, äußerte und den Wunsch darlegte, dass sich die Situation ändere. In diesem Zusammenhang unterzeichnete die Klägerin einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung in Form der Gewährung von Heimerziehung nach § 34 SGB VIII. Als problematisch stellte sich heraus, dass die Heimgruppe unmittelbar in eine Ferienfreizeit aufbrechen wollte, mit dem die Klägerin nicht einverstanden war. Im Rahmen des kollegialen Fachaustausches wurde im Verlauf der Unterbringung entschieden, dass K nicht in den Haushalt der Klägerin zurückgeführt werden könne, da verschiedene Gefährdungspunkte vorliegen würden und K persönlich geäußert habe, nicht in den Haushalt der Klägerin zurück zu wollen.
Die Klägerin kündigte sodann an, ihren Antrag nach § 34 SGB VIII zurückzuziehen, worauf die Mitarbeiterin des Jugendamtes erklärte, K sei nun in Obhut genommen und es werde ein familiengerichtliches Verfahren eingeleitet, wenn die Klägerin sich nicht mit dem weiteren Verbleib in der Gruppe einverstanden erklären sollte.
Mit Bescheid vom 22. März 2016 teilte die Beklagte der Klägerin mit, dass die Leistungen der Jugendhilfe gemäß § 34 SGB VIII beendet werden. Ferner stellte die Beklagte einen Antrag auf Entzug der elterlichen Sorge gemäß §§ 1666, 1666a BGB im Rahmen der einstweiligen Anordnung. Der Klägerin wurden daraufhin ohne vorherige Anhörung das Recht zur Beantragung von Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII, die Gesundheitsfürsorge, das Recht zur Regelung der schulischen Angelegenheiten und das Aufenthaltsbestimmungsrecht für K entzogen.
Die Beklagte ordnete sofortige Vollziehung an, die Inobhutnahme werde bis zur Entscheidung des Familiengerichts aufrechterhalten, weil die Klägerin dieser widersprochen habe.
Die Klägerin stellte beim Verwaltungsgericht einen Eilantrag mit dem Ziel, die Inobhutnahme außer Vollzug zu setzen, welcher mangels Rechtsschutzinteresse abgelehnt wurde, da durch den zwischenzeitlichen familiengerichtlichen Beschluss Erledigung eingetreten sei. Der Klägerin wurde zwischenzeitlich durch Beschluss des Familiengerichts die elterliche Sorge und das Umgangsrecht entzogen.
Am 18. Mai 2016 hat die Klägerin Fortsetzungsfeststellungsklage erhoben. Die Inobhutnahme sei rechtswidrig gewesen, sie habe an der Feststellung der Rechtswidrigkeit der Maßnahme ein Rehabilitationsinteresse. Diese Klage wies das Verwaltungsgericht als unbegründet ab. Dagegen hat die Klägerin die Zulassung der Berufung beantragt.
Zwischenzeitlich war der Klägerin mit Beschluss des Oberlandesgerichts das elterliche Sorgerecht für K auf die Klägerin wieder zurückübertragen worden. Zuvor hatte sich der Vormund für eine Rückführung von K in den mütterlichen Haushalt und die Rückübertragung der elterlichen Sorge ausgesprochen, da sich keine Anzeichen einer Kindeswohlgefährdung ergäben.
Die zulässige Berufung der Klägerin hat Erfolg. Die Klägerin hat ein berechtigtes Interesse an der Feststellung der Rechtswidrigkeit des erledigten Verwaltungsaktes aus dem Gesichtspunkt der Rehabilitation.
Die Inobhutnahme hat in das durch Art. 6 Abs. 2 S. 1 GG geschützte Elternrecht der Klägerin eingegriffen. Es hätten weder die Voraussetzungen für eine Inobhutnahme auf Bitten des Kindes nach § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII noch wegen dringender Gefahr für das Wohl des Kindes nach § 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 2 SGB VIII vorgelegen. Die Ernsthaftigkeit der Bitte des K lasse sich aufgrund fehlender Dokumentation nicht hinreichend nachvollziehen. Zudem lag nach Auffassung des Gerichts zum Zeitpunkt der Inobhutnahme eine dringende Gefahr für das Wohl des K nicht vor. Den Beschreibungen der Beklagten ließen sich keine hinreichenden Hinweise einer Kindeswohlgefährdung entnehmen. Zudem wahrte die Inobhutnahme nicht den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Als milderes Mittel hätte sich die Unterbringung in einer anderen stationären Jugendhilfeeinrichtung angeboten, mit der sich die Klägerin einverstanden erklärt hätte. Darüber hinaus sei die Inobhutnahme rechtswidrig gewesen, weil eine familiengerichtliche Entscheidung rechtzeitig hätte eingeholt werden können.
Beschluss des OVG Münster vom 7. Februar 2022
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