Analoge Anwendung von § 89e Absatz 1 Satz 1 SGB VIII in Verbindung mit § 89a SGB VIII bei Trägeridentität
Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 25. Februar 2025
Az. 5 C 4.23
Aufgrund ihrer gemäß § 86 Absatz 1 Satz 1 SGB VIII bestehenden Zuständigkeit gewährte die Beklagte Vollzeitpflege gemäß §§ 27, 33 SGB VIII in einer im Bereich des Klägers lebenden Pflegefamilie. Im weiteren Verlauf entzog das Familiengericht der Mutter das Sorgerecht teilweise und dem Vater vollständig.
Kurze Zeit nachdem der Kläger den Hilfefall aufgrund seiner gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII bestehenden Zuständigkeit übernommen hatte, wurde die Mutter in einer geschützten Einrichtung im Bereich des Klägers aufgenommen und begründete dort einen gewöhnlichen Aufenthalt. Nachfolgend stellte das Familiengericht das Ruhen des Sorgerechts der Mutter fest. Die Beklagte erstattete dem Kläger zunächst die Jugendhilfekosten, verweigerte dies jedoch in der Folge.
Auf die sodann erhobene Leistungsklage hat das Verwaltungsgericht die Beklagte zur Kostenerstattung in der vom Kläger geforderten Höhe verurteilt. Da die hiergegen erhobene Berufung vor dem Oberverwaltungsgericht erfolglos blieb, legte die Beklagte Revision vor dem Bundesverwaltungsgericht ein.
Nach Auffassung des Bundesverwaltungsgerichts hat das Oberverwaltungsgericht zu Recht entschieden, dass dem Kläger gegenüber der Beklagten ein Kostenerstattungsanspruch auf Grundlage einer analogen Anwendung des § 89e Absatz 1 Satz 1 SGB VIII zusteht.
Ein Anspruch auf Grundlage einer direkten oder analogen Anwendung des § 89a SGB VIII noch unter direkter Heranziehung des § 89e Absatz 1 Satz 1 SGB VIII bestehe jedoch nicht.
Eine Kostenerstattung gemäß § 89a Absatz 3 SGB VIII scheide aus, da ab der Aufnahme der Mutter in der geschützten Einrichtung der Kläger nicht mehr nur als Leistungsträger nach § 86 Absatz 6 SGB VIII örtlich zuständig gewesen sei, sondern auch ohne dessen Anwendung fiktiv gemäß § 86 Absatz 5 SGB VIII gewesen wäre. Nach den allgemeinen bürgerlich-rechtlichen Grundsätzen, die auch im öffentlichen Recht Geltung beanspruchen würden, könne ein Anspruch jedoch nicht gegen sich selbst bestehen und sei damit ausgeschlossen.
Eine unmittelbare Anwendung von § 89e Absatz 1 Satz 1 SGB VIII sei ebenfalls nicht möglich, denn vorliegend sei für die Zuständigkeit der gewöhnliche Aufenthalt der Pflegeperson nach § 86 Absatz 6 SGB VIII maßgeblich. Diese gehöre jedoch nicht zu dem Personenkreis des § 89e Absatz 1 Satz 1 SGB VIII.
In der vorliegenden Konstellation sei aber ein Erstattungsanspruch auf Grundlage einer analogen Anwendung von § 89e Absatz 1 Satz 1 SGB VIII gegeben. Eine analoge Anwendung setzte allerdings eine Gesetzeslücke im Sinne einer planwidrigen Unvollkommenheit des Gesetzes voraus, die dann zu bejahen sei, wenn festzustellen sei, dass der Wortlaut der Vorschrift nicht alle Fälle erfasse, die nach dem Sinn und Zweck der Vorschrift erfasst sein sollten.
Bundesverwaltungsgericht Analoge Anwendung § 89e SGB VIII
Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge trotz Sorgerechtsvollmacht
Hanseatisches Oberlandesgericht Bremen, Beschluss vom 10. Juli 2025
Az.: 4 UF 38/25
Die elterliche Sorge über drei gemeinsame minderjährige Kinder übten die verheirateten Eltern zunächst gemeinsam aus. Die Eheleute haben sich spätestens am 17. Mai 2024 getrennt, die Mutter ist aufgrund massiver Gewaltanwendung durch den Ehemann zu diesem Zeitpunkt mit den Kindern in ein Frauenhaus gezogen, in welchem sie zum wiederholten Mal war. Die Ehe ist zwischenzeitlich geschieden. Durch Beschluss hatte das Amtsgericht Bremen der Mutter im Wege der einstweiligen Anordnung die elterliche Sorge für die Kinder allein übertragen. Die Beschwerde des Vaters wurde in diesem Verfahren zurückgewiesen. Die Eltern hatten sich auf begleitete Umgangskontakte geeinigt, welche der Vater auch ausübt. Der Vater hatte während der Ehe eine außereheliche Beziehung zu einer anderen Frau und wurde rechtskräftig wegen einer zu Lasten dieser Frau begangenen Körperverletzung verurteilt.
Im Hauptsacheverfahren hatte der Vater in der mündlichen Anhörung der Mutter eine voll umfängliche Sorgerechtsvollmacht erteilt, dem Antrag der Mutter auf Übertragung der alleinigen Sorge aber nicht zugestimmt. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom 4.April 2025 die elterliche Sorge für die drei Kinder auf die Mutter allein übertragen. Die vollumfassende Vollmacht führe hier nicht zu einer Entbehrlichkeit der sorgerechtlichen Entscheidung. Der Mutter könne es angesichts der massiven gewalttätigen Übergriffe nicht zugemutet werden, zu einer Restkooperation mit dem Vater verpflichtet zu werden. Hiergegen wendet sich der Vater mit einer Beschwerde.
Das Gericht weist die Beschwerde als unbegründet zurück. Es sei zu erwarten, dass die Übertragung der alleinigen Sorge durch die Mutter dem Wohl der Kinder am besten entspricht. Es sei zu befürchten, dass die Eltern auch in Zukunft nicht in der Lage sein werden, ihre Streitigkeiten in wesentlichen Bereichen der elterlichen Sorge konstruktiv und ohne gerichtliche Auseinandersetzungen beizulegen. Dem stehe auch nicht die Erteilung der Sorgerechtsvollmacht durch den Vater entgegen. Sie kann in diesem Fall nicht als milderes Mittel wirksam fungieren. Angesichts der Gewalttätigkeiten des Vaters und der Bagatellisierungen des Vaters im Hinblick auf sein Verhalten kann nur die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge sicherstellen, dass die Rechte und die Sicherheit der Mutter und der Kinder bei der Ausübung des Sorgerechts nicht gefährdet werden.
Elterliche Sorge
|