Keine Verletzung des Elterngrundrechts durch Verzicht auf gerichtliche Umgangsregelung
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 28. August 2025
Az. 1 BvR 316/24
Der Beschwerdeführer ist Vater eines im August 2008 geborenen Kindes. Nach der Trennung im Jahr 2009 übten die Eltern zunächst das gemeinsame Sorgerecht aus. In den folgenden Jahren kam es zu zahlreichen familiengerichtlichen Verfahren, in deren Verlauf der Mutter die elterliche Sorge vollständig übertragen wurde. 2014 wurden regelmäßige Umgangskontakte zwischen Vater und Sohn, 14-tägig von freitags bis montags und 14-tägig freitags an den umgangsfreien Wochenenden, festgelegt.
Im Ausgangsverfahren beantragte die Mutter im August 2018, die bestehende Umgangsregelung unter Einbeziehung eines Gutachtens abzuändern und künftig nur noch begleitete Umgänge zuzulassen. Das Familiengericht folgte dem Antrag der Mutter und ordnete im einstweiligen Verfahren begleitete Umgänge alle drei Wochen an. Nach einem einzigen Treffen im Oktober 2018 kam es jedoch zu keinem persönlichen Kontakt mehr; lediglich ein wöchentlicher Briefkontakt blieb bestehen. Das Kind äußerte wiederholt, es wünsche sich Ruhe und wolle selbst über den Kontakt zum Vater entscheiden. Sowohl die behandelnde Kinder- und Jugendpsychiaterin als auch Jugendamt und die Verfahrensbeiständin bestätigten diesen Wunsch. Nach Anhörung des Kindes schloss das Familiengericht den Umgang für ein Jahr aus, ließ jedoch den wöchentlichen postalischen Kontakt bestehen.
Im anschließenden Beschwerdeverfahren erklärte der inzwischen 15-jährige Jugendliche, dass er grundsätzlich Interesse am Kontakt zum Vater habe, aber eigenständig und ohne feste gerichtliche Vorgaben über Begegnungen entscheiden wolle. Das Oberlandesgericht Hamm verneinte daraufhin die Voraussetzungen für einen Umgangsausschluss und hielt zugleich eine gerichtliche Regelung nicht für erforderlich. Der Wille des Jugendlichen, seine Kontakte selbst zu gestalten, sei Ausdruck wachsender Selbstständigkeit und als wichtiger Schritt seiner Persönlichkeitsentwicklung zu respektieren.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde machte der Vater eine Verletzung seines Elterngrundrechts aus Art. 6 Abs. 2 GG geltend.
Das Bundesverfassungsgericht nahm die Beschwerde nicht zur Entscheidung an. Es sah keine Verletzung des Elterngrundrechts. Zwar müssten die Fachgerichte bei einem Umgangsbegehren grundsätzlich eine konkrete Regelung treffen oder den Umgang bei Gefährdung des Kindeswohls ausschließen. Eine fehlende Regelung stelle jedoch nicht automatisch einen Grundrechtsverstoß dar, wenn das Kind – wie hier – altersgerecht und nachvollziehbar eine selbstbestimmte Kontaktgestaltung wünsche.
Das Oberlandesgericht habe den Jugendlichen als reif und in der Lage erlebt, über seine Kontakte eigenverantwortlich zu entscheiden. Diese Einschätzung decke sich mit den fachlichen Berichten des Jugendamtes und der Verfahrensbeiständin. Eine gerichtliche Festlegung hätte das Bedürfnis des Jugendlichen nach Autonomie verletzt und seinem Wohl eher geschadet als genutzt. Damit habe das Gericht auch dem verfassungsrechtlichen Gebot aus Art. 8 der Europäischen Menschrechtskonvention entsprochen, das verlangt, die Individualität und das Wohl des Kindes als Grundrechtsträger zu achten. Vor diesem Hintergrund durfte das Oberlandesgericht davon ausgehen, dass der Verzicht auf eine verbindliche Umgangsregelung den Grundrechtspositionen von Vater und Kind am besten gerecht wird.
Beschluss des Bundesverfassungsgerichts
Datenschutzrechtlicher Auskunftsanspruch eines Elternteils
Verwaltungsgericht Berlin, Urteil vom 2. Juli 2025
Az. 1 K 108/22
Die Klägerin ist Mutter eines Kindes, für das sie die elterliche Sorge im Jahr 2021 mit ihrem damaligen Ehemann, dem Vater des Kindes, gemeinsam ausübte. Die Tochter lebte zunächst bei der Klägerin, zog dann aber gegen den Willen der Klägerin zum Vater.
Im August 2021 wandte sich die Klägerin an das Jugendamt des Bezirksamts U. und nahm dort einen Gesprächstermin wahr. Im Rahmen dieses Gesprächs wurde ihr seitens einer Mitarbeiterin des Jugendamts mitgeteilt, dass sich der Vater zuvor bereits an das Jugendamt gewandt habe und zu dem mit ihm geführten Gespräch eine Gesprächsnotiz gefertigt worden war. Mit Schreiben vom 5.September 2021 bat die Klägerin das Jugendamt um Überlassung der Vermerke über das mit ihrem damaligen Ehemann sowie das mit ihr selbst geführte Gespräch. Sie bat um „vollständige Auskunft nebst Überlassung von Kopien“. Mit Schreiben vom 1.Oktober 2021 teilte die damalige Bezirksstadträtin für Jugend, Wirtschaft und Soziales der Klägerin mit, dass eine Datenverarbeitung im Falle der Klägerin „nicht erfolgt und auch nicht vorgesehen“ und kein Verwaltungsvorgang angelegt worden sei.
Am 10.Oktober 2021 wandte sich die Klägerin mit einer datenschutzrechtlichen Beschwerde an die Beklagte. Mit Abschlussnachricht vom 11.Februar 2022 informierte die Beklagte die Klägerin über den Abschluss des Überprüfungsverfahrens, in dessen Rahmen ein datenschutzrechtlicher Verstoß des Jugendamts nicht habe festgestellt werden können.
Die hiergegen erhobene Klage hat nach dem Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin keinen Erfolg. Das Jugendamt habe ein auf Art. 15 DSGVO gestütztes Auskunftsbegehren der Klägerin nach § 83 Abs. 1 Nr. 1 in Verbindung mit § 82a Abs. 1 Nr. 2 SGB X zurückweisen dürfen.
Die Informationspflicht des Leistungsträgers sei gemäß § 82a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 SGB X ausgeschlossen, wenn die Daten gemäß § 65 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII geheim gehalten werden mussten. Im Hinblick auf die Einwilligung nach § 65 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB VIII sei unerheblich, ob der auskunftsersuchenden Person die betreffenden Daten bekannt waren. Insoweit stelle die Vorschrift nicht auf die vorherige Kenntnis der Beteiligten ab.
Darüber hinaus gehörten auch minderjährige Kinder im Hinblick auf den Auskunftsanspruch der Personensorgeberechtigten, der sich nur auf die personenbezogenen Daten der auskunftsersuchenden Person beziehen könne, zum Kreis der von § 82a Abs. 1 Nr. 2 Alt. 2 SGB X geschützten dritten Personen. Denn für ein vertrauensvolles Gespräch mit dem Jugendamt sei sowohl für einen Elternteil als auch für die betroffenen Jugendlichen unerlässlich, dass Gesprächsinhalte, insbesondere auch soweit diese den anderen Elternteil beträfen, nicht unmittelbar gegenüber dem andern Elternteil preisgegeben werden müssten. Da insoweit die Funktionsfähigkeit der Jugendhilfe als solche betroffen sei, sei den Geheimhaltungsinteressen Vorrang zu gewähren.
Urteil des Verwaltungsgerichts Berlin
Vorrang der Eingliederungshilfe nach § 10 Absatz 4 Satz 2 SGB VIII
Sozialgericht Gelsenkirchen, Urteil vom 8. August 2025
Az. S 2 SO 256/24
Die Klägerin gewährte für ein minderjähriges Kind Hilfe zur Erziehung in stationärer Form. Nachdem bei dem Kind ein fetales Alkoholsyndrom und verschiedene damit einhergehende Beeinträchtigungen festgestellt worden waren, bat die Klägerin den Beklagten als den Träger der Eingliederungshilfe um Übernahme des Falles.
Da der Beklagte lediglich bereit war, seine Kostenerstattungspflicht für einen Teilzeitraum anzuerkennen, erhob die Klägerin Klage vor dem Sozialgericht.
Die Klage ist begründet. Nach Ansicht des Sozialgerichts hat die Klägerin auch für den bisher vom Beklagten abgelehnten Zeitraum einen Kostenerstattungsanspruch nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X. In dem streitgegenständlichen Zeitraum habe im Hinblick auf die Unterbringung und Betreuung des Hilfeempfängers in einer Erziehungsstelle sowohl ein Anspruch auf Leistungen der Jugendhilfe nach §§ 27 ff, 34 SGB VIII auf Heimerziehung als auch auf Leistungen der Eingliederungshilfe zur Betreuung in einer Pflegefamilie nach dem SGB IX bestanden.
Da der Hilfeempfänger geistig behindert beziehungsweise von einer solchen Behinderung bedroht sei, seien die Leistungen der Eingliederungshilfe gegenüber den Jugendhilfeleistungen gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII vorrangig.
Die hierfür erforderliche Kongruenz der Leistungen, insbesondere Gleichartigkeit beziehungsweise Deckungsgleichheit der Leistungspflichten, sei im vorliegenden Fall gegeben.
Der im Erstattungsstreit festgestellte Vorrang der Eingliederungshilfe führe zur rückwirkenden Anwendbarkeit des § 98 Abs. 5 Satz 1 SGB IX. Damit werde der gesetzgeberischen Intention der Trägerkontinuität in Bestandsfällen Rechnung getragen und zugleich gewährleistet, dass die nachrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers nicht bereits vor der rechtsverbindlichen Fallübernahme durch den Träger der Eingliederungshilfe entfalle.
Urteil des Sozialgerichts Gelsenkirchen
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