Zulässigkeit sorgerechtlicher Maßnahmen vor Geburt eines Kindes
OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 12. Mai 2017
Az. 1 UF 95/17
Die werdende Mutter hat bereits vier Kinder. Sie leidet an paranoider Schizophrenie und steht unter rechtlicher Betreuung. Im Rahmen der Schwangerschaft trat ein Schwangerschaftsdiabetes auf, den sie nicht in gebotener Weise behandeln ließ.
Das zuständige Amtsgericht bestellte eine Verfahrensbeiständin für das ungeborene Kind und hörte die Eltern an. Nach Erörterung in einem Termin Ende März entzog sie den Eltern die elterliche Sorge im Wege der einstweiligen Anordnung und bestellte das Jugendamt zum Vormund.
Gegen diese Entscheidung wendet sich die Mutter mit ihrer Beschwerde.
Das OLG Frankfurt gab der Beschwerde im Wesentlichen statt. Zwar könne bereits vor Geburt ein Verfahren nach § 1666 BGB eingeleitet und Termin nach § 157 FamFG durchgeführt werden. Der Entzug der elterlichen Sorge könne nicht vor der Geburt erfolgen, da die elterliche Sorge erst mit Geburt entstehe und erst dann ausgeübt werden könne. Auch ein vorgeburtlicher Sorgerechtsentzug, der erst mit der Geburt wirksam wird, sei unzulässig, da es sich um eine verfassungsrechtlich nicht zulässige Vorratsentscheidung handeln würde.
Der Schutz des Kindes sei unmittelbar nach der Geburt gegebenenfalls nach §§ 8a, 42 SGB VIII zu gewährleisten.
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Inobhutnahme eines noch ungeborenen Kindes
Verwaltungsgericht Stuttgart, Beschluss vom 14. Dezember 2017
Az. 7 K 18365/17
Die Antragsteller sind Eltern von zwei gemeinsamen Kindern. Die Antragstellerin zu 1 ist darüber hinaus Mutter zweier weiterer Kinder. Sie leidet unter einer Intelligenzminderung und einer emotional instabilen Persönlichkeitsstörung, weshalb sie mehrfach in stationärer Behandlung war. Der Antragsteller zu 2 ist geistig behindert, leidet unter einer starken Sehbehinderung und ist motorisch eingeschränkt. Keins der vier Kinder lebt bei den Antragstellern. Maßnahmen der Eingliederungshilfe und Leistungen in Mutter-Kind-Einrichtungen blieben erfolglos.
Ende Januar 2018 erwartete die Antragstellerin zu 1 ihr fünftes Kind. Vor Geburt des Kindes teilte sie in einem Gespräch mit der Hebamme und dem zuständigen Jugendamt mit, das Kind mit Hilfe der Hebamme, der Eltern des Kindsvaters sowie von Bekannten versorgen zu wollen. Die Jugendamtsmitarbeiter hielten eine lückenlose Betreuung der Familie für unabdingbar. Jedoch hätten Einrichtungen die Aufnahme der Antragsteller abgelehnt. Daher sah das Jugendamt keine andere Möglichkeit, als das Kind nach der Geburt in Obhut zu nehmen und eine familiengerichtliche Klärung herbeizuführen.
Im Rahmen des einstweiligen Rechtsschutzes wenden sich die Antragsteller gegen die beabsichtigte Inobhutnahme des noch ungeborenen Kindes.
Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat den Antrag abgelehnt.
Der Rechtsweg vor dem Verwaltungsgericht sei eröffnet, da die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme zu überprüfen sei. Die in § 42 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 SGB VIII geregelte Sonderzuweisung an die Familiengerichte greife nicht, da das Familiengericht nicht die Rechtmäßigkeit der Inobhutnahme prüfe, sondern über die notwendigen sorgerechtlichen Maßnahmen im Anschluss an die Inobhutnahme entscheide.
Allerdings dürfte die beabsichtigte Inobhutnahme des noch ungeborenen Kindes rechtmäßig sein. Aufgrund der Erfahrungen mit der Betreuung und Versorgung der vier älteren Kinder sei eine dringende Gefahr für das Kindeswohl des ungeborenen Kindes anzunehmen.
Darüber hinaus sei es unmöglich, die familiengerichtliche Entscheidung nach § 42 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2b SGB VIII rechtzeitig herbeizuführen. Dabei komme es nicht darauf an, ob der Antrag rechtzeitig beim Familiengericht gestellt werden könne. Maßgeblich sei viel mehr, ob die Entscheidung des Familiengerichts rechtzeitig erfolgen könne. Die Entscheidung des Familiengerichts könne jedoch nicht vor Geburt des Kindes ergehen, da das Sorgerecht erst mit Geburt des Kindes entstehe.
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Klage gegen Festschreibung von Mindeststandards in einer Betriebserlaubnis nach § 45 Abs. 2 SGB VIII
Verwaltungsgerichtshof München, Beschluss vom 4. Oktober 2017
Az. 12 ZB 17.1508
Der Kläger, ein in der Jugendhilfe überregional tätiger eingetragener Verein, beabsichtigte, den Betrieb eines „Schutzhauses“ zur Inobhutnahme von Kindern im Alter von 6 bis 12 Jahren aufzunehmen. Hierzu beantragte er die Erteilung einer Betriebserlaubnis. Dem Antrag fügte der Kläger seine Konzeption zum Betrieb der Einrichtung bei. Diese wies den von ihm ermittelten Planstellenbedarf auf Basis seines Konzeptes einer Rund-um-die-Uhr-Betreuung durch pädagogische Fachkräfte („wacher Nachtdienst“) aus.
Auf seinen Antrag hin wurde dem Kläger die Betriebserlaubnis nach § 45 SGB VIII erteilt. In den „Nebenbestimmungen“ zur Genehmigung legte die Behörde eine Mindestpersonalausstattung für die Einrichtung fest, die hinter dem vom Kläger errechneten Planstellenbedarf zurückblieb. Dies insbesondere deshalb, weil die Behörde ihrer Planstellenberechnung nur einen nächtlichen Bereitschaftsdienst anstelle des vom Kläger vorgesehenen „wachen Nachtdienstes“ zugrunde legte.
Im Wege der Verpflichtungsklage erstrebte der Kläger daraufhin die Erteilung einer Betriebserlaubnis in der von ihm beantragten Form.
Das Verwaltungsgericht hat die Klage als unzulässig abgewiesen.
Den Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung hat der Verwaltungsgerichtshof München mangels ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der vorinstanzlichen Entscheidung rechtskräftig abgelehnt. Zur Begründung führte der Senat aus, dem Kläger fehle in Anbetracht der ihm bereits erteilten Betriebserlaubnis ein Rechtsschutzbedürfnis. Er erstrebe eine Erlaubnis, die er bereits besitze. Die Abweichung der Festsetzungen zum Planstellenbedarf von seinem Antrag habe nicht zur Folge, dass der Beklagte den Antrag des Klägers auf Erteilung der Betriebserlaubnis teilweise abgelehnt oder nicht beschieden hätte. Die Festsetzungen legten vielmehr lediglich den Mindeststandard fest, den der Betreiber nicht unterschreiten dürfe. Eine Inbetriebnahme des Schutzhauses mit einer höheren Personalstärke – wie vom Kläger vorgesehen - sei auf Grundlage der Betriebserlaubnis ohne weiteres erlaubt und möglich.
Der Senat führte weiter aus, der Kläger könne eine verwaltungsgerichtliche Überprüfung der Festschreibung eines bestimmten Mindeststandards, der für die Gewährleistung des Kindeswohls in einer Einrichtung erforderlich ist, mit der Feststellungsklage nach § 43 VwGO erreichen. Insoweit bestehe zwischen der Genehmigungsbehörde und dem Einrichtungsträger ein feststellungsfähiges Rechtsverhältnis. Angesichts der tatsächlichen Bedeutung der „Mindeststandards“ für den Abschluss von Leistungsvereinbarungen nach § 78a SGB VIII sowie dem nachvollziehbaren Interesse des Klägers an einer sachlich zutreffenden Beschreibung der Grenze zur Kindeswohlgefährdung besäße der Kläger auch das erforderliche Feststellungsinteresse.
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Örtliche Zuständigkeit für eine Hilfe nach §§ 27ff SGB VIII im Anschluss an eine Hilfe nach § 19 SGB VIII
Verwaltungsgericht Magdeburg, Urteil vom 13. Dezember 2017
Az. 6 A 45/17
Seitens der Beklagten erhielt die Klägerin bis zum 3. Januar 2016 Hilfe nach § 19 SGB VIII im Salzlandkreis.
Am 15. Dezember 2015 beantragte die Klägerin bei der Beklagten für ihre Tochter die Gewährung von Jugendhilfe nach § 34 SGB VIII und verzog zum 4. Januar 2016 in den Landkreis Mansfeld- Südharz in eine Einrichtung eines Berufsbildungswerkes.
Der Beklagte sandte den Antrag an den Salzlandkreis mit der Begründung, für die beantragte Hilfegewährung sei dessen Zuständigkeit nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII gegeben. Dieser lehnte die Zuständigkeit ebenfalls ab. Der Landkreis Mansfeld-Südharz sei zuständig, da die Klägerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt dort begründet habe.
Die Klägerin übersandte ihren Antrag daraufhin an den Beigeladenen. Dieser lehnte den Antrag ab, da die Zuständigkeit beim Beklagten liege.
Nach erneuter Ablehnung durch den Beklagten hat die Klägerin am 20. Februar 2017 Klage erhoben und beantragte, den Beklagten zu verpflichten, der Klägerin für ihre Tochter Hilfe nach § 34 SGB VIII zu gewähren.
Die Zuständigkeit des Beklagten ergebe sich aus § 86 Abs. 1 Satz 2 SGB VIII in Verbindung mit § 89e Abs. 1 SGB VIII. Die örtliche Zuständigkeit richte sich nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Mutter vor Aufnahme in einer Einrichtung.
Der Beklagte beantragte, die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht Magdeburg hat entschieden, dass die zulässige Klage unbegründet sei.
§ 89e SGB VIII regele keine Verlagerung der Zuständigkeit, sondern lediglich die Kostenerstattungspflicht.
Das Verwaltungsgericht Magdeburg ist der Auffassung, dass zwischen der Zuständigkeit für den Antrag auf Jugendhilfe und deren Gewährung einerseits und der Verpflichtung zur Kostenerstattung andererseits zu unterscheiden sei.
Die örtliche Zuständigkeit richte sich nach § 86 Abs. 2 Satz 1 SGB VIII, nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Klägerin im Bereich der Beigeladenen.
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