Die fehlende Eignung einer Betreuungsperson wegen pädophiler Neigungen setzt keine Anklageerhebung oder Verurteilung im strafrechtlichen Sinne voraus
VGH Baden-Württemberg, Beschluss vom 23. April 2019
Az. 12 S 675/19
Der Antragsteller ist ein im Ruhestand befindlicher evangelischer Pfarrer, der wegen sexuellem Missbrauchs von Kindern rechtskräftig verurteilt ist. Diese Verurteilung ist länger als 20 Jahre her und nach Ablauf der Tilgungsfrist aus dem Führungszeugnis gelöscht (§§ 45 ff. BZRG aF). Seit diesem Zeitpunkt ist der Antragsteller nicht mehr strafrechtlich in Erscheinung getreten.
Am 14. Dezember 2018 nahm der Antragsgegner die dem Antragsteller mit Bescheid vom 24. Juli 2018 erteilte Erlaubnis zur Kindertagespflege gemäß § 45 SGB X zurück und ordnete gemäß § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehung der Verfügung an. Zur Begründung führte der Antragsgegner aus, die zurückliegende Verurteilung des Antragstellers sei trotz Tilgung im Bundeszentralregister noch verwertbar und stünde ebenso wie seine fehlende Einsicht und Verharmlosungstendenzen bezüglich seiner Straftaten seiner Eignung als Tagespflegeperson gemäß § 43 Abs. 2 S. 4 iVm § 72a Abs. 1 SGB VIII entgegen.
Gegen diesen Bescheid hat der Antragsteller am 9. Januar 2019 Widerspruch eingelegt und einen Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs gestellt.
Das Verwaltungsgericht hat die aufschiebende Wirkung des Widerspruchs des Antragstellers gegen den Bescheid des Antragsgegners unter Auflagen wiederhergestellt. Im Übrigen hat es den Antrag abgelehnt.
Der Verwaltungsgerichtshof hat den Antrag des Antragstellers mit Beschluss vom 23. April 2019 insgesamt abgelehnt. Bei der Beurteilung der Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs kommt das Gericht in summarischer Prüfung zu dem Schluss, dass die Rücknahme der Erlaubnis der Kindertagespflege gemäß § 45 Abs. 1 und Abs. 2 SGB X voraussichtlich rechtmäßig war. Das Vertrauen des Antragstellers auf den Bestand der ihm erteilten Tagespflegeerlaubnis sei wegen des überragenden öffentlichen Interesse des Kinder- und Jugendschutzes insoweit nicht schutzwürdig.
Aufgrund der in der Vergangenheit praktizierten pädophilen Neigungen des Antragstellers bestehe ein für die Betreuung von Kindern in der Tagespflege nicht verantwortbares Risiko, dass die Eignung als Tagespflegeperson gemäß § 43 Abs. 2 S. 1 und 2 SGB VIII ausschließe. Zwar könne erst im Hauptsacheverfahren geklärt werden, ob dem Antragsteller die Taten und die Verurteilung im Rahmen des § 43 Abs. 2 S. 4, § 72a Abs. 1 S. 1 und 2 SGB VIII nicht mehr vorgehalten und auch nicht zu seinem Nachteil verwendet werden dürfen. Doch sei der Begriff der Eignung als Tagespflegeperson als unbestimmter Rechtsbegriff der vollen gerichtlichen Überprüfung unterlegen und umfasse neben den ausdrücklich im Gesetz aufgezählten Anforderungen auch, dass in der Pflegestelle keine anderen für die Entwicklung der aufgenommenen Kinder schädlichen Risiken vorhanden seien. Dabei könnten auch pädophile Neigungen, selbst ohne Verurteilung, berücksichtigt werden. Die fehlende Eignung setze für sich genommen keine diesbezügliche Anklageerhebung oder Verurteilung voraus.
Ob eine Kindeswohlgefährdung vorliege, sei eine Frage der prognostischen Wahrscheinlichkeit, bei der nicht der strafrechtliche Grundsatz „im Zweifel für den Angeklagten“ Anwendung finde, sondern die Formel „im Zweifel für das Kind“. Diese ergebe im konkreten Fall, dass aufgrund seiner pädophilen Neigungen ein für die Betreuung von Kindern in der Tagespflege nicht verantwortbares Risiko bestehe.
Beschluss des VGH Baden-Württemberg
Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter unabhängig von neuer Partnerschaft
OLG Frankfurt, Beschluss vom 2. Mai 2019
Az. 2 UF 273/17
Die Beteiligten sind die nicht miteinander verheirateten Eltern eines Kindes; sie hatten sich bereits vor der Geburt getrennt. Das Kind wird von der Mutter betreut und versorgt. Der Kindesunterhalt ist durch Jugendamtsurkunde tituliert.
Die Mutter war nach der Elternzeit ab dem 14. Lebensmonat des Kindes zu 50%, ab dem 26. Lebensmonat zu 100% berufstätig. Dabei konnte sie als Bankangestellte nicht ihr vor der Geburt des Kindes erzieltes Monatseinkommen erreichen. Der Vater hatte der Mutter zunächst Betreuungsunterhalt gezahlt, diesen jedoch in Ansehung ihrer Erwerbstätigkeit reduziert.
Die Mutter verlangt weitere Unterhaltszahlungen vom Vater für die ersten drei Lebensjahre des Kindes. Gegen den Beschluss des Amtsgerichts vom 4. Oktober 2017 auf Abänderung der Jugendamtsurkunde zur Zahlung von Kindesunterhalt an das Kind (Antragstellerin zu 1) und teilweiser Stattgabe der Anträge der Antragstellerinnen haben die Antragstellerinnen zu 1 und 2 (Kind und Mutter) am 13. November 2017 Beschwerde eingelegt und erweiterte Unterhaltszahlungen beantragt.
Die Antragstellerinnen sind der Ansicht, dass die Berufstätigkeit der Mutter während der ersten drei Lebensjahre des Kindes überobligatorisch und deshalb nicht voll anzurechnen sei. Der Vater (Antragsgegner) widerspricht dem und vertritt zusätzlich die Ansicht, dass das Zusammenleben der Mutter mit einem neuen Partner, wie bei einer geschiedenen Ehefrau, die ein gemeinsames Kind betreue, wegen dieser verfestigten Lebenspartnerschaft den Unterhaltsanspruch nach § 1579 Nr. 2 BGB verwirke.
Das OLG hat der zulässigen Beschwerde stattgegeben.
Während der ersten drei Lebensjahre sei die Mutter nach § 1615l BGB überhaupt nicht zur Arbeit verpflichtet gewesen, daher seien die erzielten Einkünfte nur sehr eingeschränkt anzurechnen. Andererseits dürfe der Vater nicht mehr aufwenden müssen, als ihm verbliebe. Aus Art. 3 GG sei zu folgern, dass der Unterhalt der nicht verheirateten Mutter nicht das übersteigen dürfe, was eine verheiratete Mutter fordern könne.
Soweit der Antragsgegner eine Unterhaltsverwirkung wegen der Lebensgemeinschaft mit dem neuen Partner annehme, folgt das Gericht dieser Ansicht nicht. Der Gesetzgeber habe den Unterhaltsanspruch der nichtehelichen Mutter nicht in jeder Hinsicht dem der ehelichen Mutter angeglichen. So könne sie beispielsweise keinen Altersvorsorgeunterhalt verlangen oder erhalte keinen Ausgleich für Nachteile im Erwerbsleben. Dieser strukturell schwächere Unterhaltsanspruch der unehelichen Mutter dürfe wegen der gebotenen Gleichbehandlung nach Art. 3 GG nicht weiter ausgedehnt werden. Zudem reiche eine „einfache“ Unbilligkeit zur Verwirkung des Unterhaltsanspruchs nicht aus (§ 1579 BGB). Das Zusammenleben mit einem neuen Partner könne bei einer nicht ehelichen Partnerschaft nicht als „Abkehr aus der ehelichen Solidarität“ im Sinne des § 1579 Nr. 2 BGB gewertet werden. Eine Verwirkung des Unterhaltsanspruchs der unehelichen Mutter könne sich allenfalls nach dem Maßstab des § 1611 BGB bemessen, wonach eine grobe Unbilligkeit, die hier nicht auszumachen ist, eine Verwirkung rechtfertige.
Das OLG Frankfurt hat die Rechtsbeschwerde zum BGH zugelassen, da mehrere Rechtsfragen von grundsätzlicher Bedeutung die Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts erforderten.
Beschluss des OLG Frankfurt
Unverwertbarkeit eines medizinischen Altersgutachtens wegen unzulässiger Vertretung des Amtsvormunds
Oberverwaltungsgericht (OVG) Bremen, Beschluss vom 10. Mai 2019
Az. 1 B 32/19
Der guineische Antragsteller reiste als unbegleiteter Minderjähriger im Dezember 2017 ein. In der Erstaufnahmeeinrichtung in Bremen gab er ein Geburtsdatum im Jahr 2001 an. Nach dem Erstgespräch kam das Jugendamt zu dem Ergebnis, dass der Antragsteller volljährig sei. Ein daraufhin eingeholtes medizinisches Altersgutachten der Universitätsklinik Hamburg-Eppendorf bestätigte diese Einschätzung, sodass das Jugendamt Bremen im Januar 2018 die vorläufige Inobhutnahme ablehnte.
Hiergegen legte der Antragsteller Widerspruch ein. Das Jugendamt setzte die Vollziehung des Ablehnungsbescheids bis zum Abschluss des Widerspruchsverfahrens aus, da das medizinische Gutachten nicht den inzwischen durch das OVG Bremen aufgestellten Anforderungen an altersdiagnostische Gutachten entsprach.
Im Juni 2018 ordnete das Amtsgericht Bremen die Vormundschaft für den Antragsteller an und bestellte das Jugendamt Bremen zum Amtsvormund. Innerhalb des Jugendamtes wurde die Vormundschaft auf Frau A. übertragen. Im Juli 2018 unterzeichnete Frau C., ebenfalls Mitarbeiterin des Jugendamts Bremen, Fachdienst Amtsvormundschaft, in der „Funktion als Notvertretung gem. § 42a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII“ für den Antragsteller eine Erklärung, mit der das Einverständnis in eine medizinische Begutachtung durch das Universitätsklinikum Münster erklärt wurde. Kurz danach erklärte auch der Antragsteller sein Einverständnis zu dieser Untersuchung. Die Untersuchung ergab ein absolutes Mindestalter von 19 Jahren und ein wahrscheinliches Lebensalter von 22 Jahren. Das Jugendamt wies daraufhin den Widerspruch des Antragstellers gegen die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme zurück.
Gegen den Widerspruchsbescheid erhob der Antragsteller Klage vor dem Verwaltungsgericht Bremen, das dem Antrag stattgab. Hiergegen hat das Jugendamt Bremen Beschwerde vor dem Oberverwaltungsgericht eingelegt.
Das OVG Bremen hat die Beschwerde als unbegründet zurückgewiesen. Beide medizinische Altersgutachten seien nicht verwertbar.
Das Hamburger Gutachten sei nicht verwertbar, da es den Anforderungen an altersdiagnostische Untersuchungen, die das OVG Bremen in seiner Rechtsprechung aufgestellt hat, nicht entspreche. Das Gutachten des Universitätsklinikums Münster sei nicht verwertbar, weil es an einer wirksamen Einwilligung in die medizinische Untersuchung durch den gesetzlichen Vertreter des Antragstellers fehle.
Zwar sei es unschädlich, dass Frau C. in der „Funktion als Notvertretung gem. § 42a Abs. 3 Satz 1 SGB VIII“ handelte. Sie habe zum Ausdruck gebracht, als rechtlicher Vertreter handeln zu wollen. Diese Befugnis habe dem Jugendamt als Amtsvormund auch zugestanden, wenn auch auf einer anderen Rechtsgrundlage.
Allerdings sei Frau C. nicht berechtigt gewesen, dieses Vertretungsrecht auszuüben. Innerhalb des Jugendamtes war Frau A. für die Wahrnehmung der Aufgaben des Amtsvormunds zuständig. In der Rechtsprechung sei bisher nicht geklärt, ob auch andere Bedienstete des Jugendamtes Willenserklärungen nach außen abgeben dürften. Es wäre jedoch mit Sinn und Zweck des § 55 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 2 SGB VIII unvereinbar, wenn andere Bedienstete des Jugendamtes beliebig im Außenverhältnis wirksame Erklärungen für das Mündel abgeben könnten. Die Aufgaben des Amtsvormunds seien von dem Bediensteten des Jugendamtes, auf das sie übertragen wurden, grundsätzlich selbst wahrzunehmen.
Ist diese verhindert, etwa bei Krankheit, Urlaub oder einer Dienstreise, sei eine Vertretung durch eine andere Fachkraft des Jugendamtes möglich. Solche Vertretungsfälle seien jedoch amtsintern verbindlich zu regeln. Es sei nicht zulässig, dass beliebige Fachkräfte ihre Vertretung informell untereinander regelten. Dem Geschäftsverteilungsplan des Jugendamtes Bremen sei ein Vertretungsverhältnis zwischen Frau A. und Frau C. nicht zu entnehmen.
Beschluss des OVG Bremen
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