Erstmalige Anordnung eines Wechselmodells nur im Rahmen eines Umgangsverfahrens möglich
OLG Frankfurt, Beschluss vom 15. Februar 2022
Az. 3 UF 81/21
Die Eltern streiten sich im Rahmen eines sorgerechtlichen Verfahrens, ob hinsichtlich der Betreuung ihres Kindes ein Wechselmodell anzuordnen ist. Der Vater hat die Herstellung des Wechselmodells im Rahmen eines Sorgeantrags begehrt. Die Mutter hat im späteren Verlauf des Verfahrens beantragt, ihr das Aufenthaltsbestimmungsrecht zur alleinigen Ausübung zu übertragen.
Das Amtsgericht hat als Beschluss der Mutter das Aufenthaltsbestimmungsrecht übertragen und die Anträge des Vaters zurückgewiesen. Es hat dieses explizit zum Zweck übertragen, überwiegende Obhutsanteile der Mutter sicherzustellen und das Wechselmodell des Vaters zu verhindern.
Gegen den Beschluss hat als Beschwerdeführer der Vater Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht habe ihm ohne Not und ohne Erklärung das in Art. 6 GG verwurzelte Erziehungsrecht genommen und das Wechselmodell zu Unrecht abgelehnt.
Der Beschwerde wurde stattgegeben. Das Gericht ist der Auffassung, dass die gemeinsame elterliche Sorge bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts wiederherzustellen sei. Das Oberlandesgericht meint, dass die Aufhebung der gemeinsamen elterlichen Sorge bezüglich des Aufenthaltsbestimmungsrechts und dessen Übertragung auf die Mutter nicht dem Kindeswohl entspreche.
Sorge- und Umgangsrecht sind eigenständige Verfahrensgegenstände. Bei sorgerechtlichen Entscheidungen geht es um die Frage der Rechtszuständigkeit, während es bei Umgangsregeln um die tatsächliche Ausübung der elterlichen Sorge geht. Letztere schränken insoweit die Befugnisse der Sorgeberechtigten entsprechend ein, ohne in das Sorgerecht als Status einzugreifen. Die erstmalige Anordnung eines Wechselmodells bei ausschließlichem Streit der Eltern über diese Frage, könne nur im Umgangsverfahren erfolgen, denn bei der Feststellung eines bestimmten Betreuungsmodells handelt es sich um eine Frage der tatsächlichen Ausübung elterlicher Sorge. Jedenfalls dann, wenn es nicht um die Umsetzung von mehr als hälftigen Betreuungsanteilen geht. Zwischen den Eltern ist lediglich die Frage streitig, in welchem zeitlichen Umfang, welcher 50% nicht übersteigen soll, das Kind durch den Vater betreut werden soll. Die erstinstanzlich vorgenommene Übertragung des Aufenthaltsbestimmungsrechts, gehe somit über die im Sorgerechtsstreit zu treffende Entscheidung über eine Aufhebung oder Beibehaltung des gemeinsamen Sorgerechts hinaus.
Eine sorgerechtliche Verortung des Wechselmodells würde zu einem unverhältnismäßigen Eingriff in das Sorgerecht des anderen Elternteils führen, weil diese Regelung deutlich über die allein streitige Frage der Häufigkeit der Umgangskontakte hinausgehen würde. Jeder Elternteil, der das Wechselmodell erreichen will, liefe Gefahr als Folge seines Begehrens einen massiven Eingriff in sein Elternrecht aus Art. 6 GG in Form des Entzugs des Aufenthaltsbestimmungsrechts hinnehmen zu müssen. Für eine umgangsrechtliche Verortung spricht überdies effizientere Durchsetzungsmöglichkeiten und die Ermöglichung eines amtswegigen Tätigwerdens.
Hinzuziehen einer Vertrauensperson bei der qualifizierten Inaugenscheinnahme
Oberverwaltungsgericht Bremen, Beschluss vom 24. Februar 2022
Az. 2 B 456/21
Der Antragsteller meldete sich am bei einer Aufnahmeeinrichtung in Bremen und gab an, am 24.05.2004 in Guinea-Bissau geboren worden und unbegleitet zu sein. Es stellte sich heraus, dass er bereits am in Monza (Italien) als Asylantragsteller registriert wurde. Am fand eine qualifizierte Inaugenscheinnahme zur Feststellung der Minderjährigkeit (§ 42f Abs. 1 SGB VIII) statt. Dabei bestätigte der Antragsteller am, dass er über die Hinzuziehung einer Vertrauensperson aufgeklärt worden sei und keine hinzuziehen möchte.
Die Stadtgemeinde Bremen beendete mit Bescheid vom die vorläufige Inobhutnahme, da der Antragssteller aufgrund seines äußeren Erscheinungsbildes und den Ergebnissen der qualifizierten Inaugenscheinnahme zweifelsfrei volljährig sei. Er habe seine Minderjährigkeit nicht plausibel dargelegt und sich widersprüchlich und unzureichend hinsichtlich seines Asylantrags in Italien und dem zeitlichen Ablauf seiner Reise geäußert.
Der Antragsteller legte gegen die Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme Widerspruch ein. Beim Verwaltungsgericht beantrage er die Anordnung der aufschiebenden Wirkung des Widerspruchs mit der Begründung, er sei erst unmittelbar zu Beginn des Gesprächs über die Möglichkeit der Hinzuziehung einer Vertrauensperson informiert worden und habe so dieses Recht tatsächlich nicht ausüben können. Es sei nicht auszuschließen, dass die Sachentscheidung dadurch beeinflusst worden sei. Zudem sei nicht hinreichend gewürdigt worden, dass er psychisch schwer belastet sei, was in einer amtsärztlichen Stellungnahme festgestellt worden sei.
Das Verwaltungsgericht lehnte den Antrag ab. Zwar seien nicht alle Argumente der Antragsgegnerin hinsichtlich der Ungereimtheiten der Reise überzeugend. Allerdings sei auch nicht plausibel, dass der Antragsteller einige Zeiträume genau benennen könne und andere Daten, die auf sein Alter hindeuten, nicht angeben konnte. Zudem sei die Rechtswidrigkeit des Vorgehens, dass er erst zu Beginn des Gesprächs über die Möglichkeit der Hinzuziehung einer Vertrauensperson informiert wurde, unbeachtlich. Es gebe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Abwesenheit der Vertrauensperson mitursächlich für die unzureichenden Angaben des Antragstellers sei. Ebenso wies die Antragsgegnerin den Widerspruch als unbegründet zurück.
Der Antragsteller Klage beantragte beim Oberverwaltungsgericht Bremen die Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage.
Die Beschwerde ist begründet, weil der Antragsteller bei der qualifizierten Inaugenscheinnahme nicht rechtzeitig über die Möglichkeit der Hinzuziehung einer Vertrauensperson informiert worden sei und dieser Verfahrensfehler nicht nach § 42 S. 1 SGB X unbeachtlich sei. Da der Antragsteller erst zu Beginn der Inaugenscheinnahme informiert worden sei, habe er sein Recht tatsächlich nicht ausüben können. Der Fehler sei nicht durch die Inaugenscheinnahme an dem späteren Termin geheilt worden, da man diese dort lediglich fortgesetzt und auch die Ergebnisse vom ersten Termin verwendet habe. Weiterhin bestehe die konkrete Möglichkeit, dass die vorläufige Inobhutnahme nicht nach der Inaugenscheinnahme beendet, sondern der Sachverhalt weiter aufgeklärt worden wäre, wenn eine Vertrauensperson anwesend gewesen wäre. Im Ergebnis hätte man feststellen können, dass eine Befragung nicht geeignet sei, um das Alter festzustellen und eine ärztliche Untersuchung hätte die Minderjährigkeit ergeben können.
Keine Anwendung des § 89b SGB VIII bei einer Zuständigkeit nach § 88a SGB VIII
Verwaltungsgericht Stuttgart, Urteil vom 20. Dezember 2021
Az. 7 K 6259/20
Im Jahr 2016 nahm das Jugendamt der Beklagten einen unbegleitet mindejährigen Ausländer nach § 42a SGB VIII vorläufig in Obhut. Da eine Umverteilung nach § 42b Abs. 4 SGB VIII nicht möglich war, wechselte die Maßnahme in eine Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII. Der überörtliche Träger erkannte seine Kostenerstattungspflicht nach § 89d SGB VIII an.
Der Junge entwich im weiteren Verlauf mehrere Male aus der Einrichtung, wurde durch die Klägerin in Obhut genommen und in die Einrichtung der Beklagten zurückgeführt.
Die Klägerin begehrte für die gewährten Inobhutnahmen daraufhin sowohl beim beklagten Jugendamt Kostenerstattung nach § 89b SGB VIII als auch hilfsweise beim beklagten überörtlichen Träger nach § 89d SGB VIII.
Da beide angegangenen Träger ihre Kostenerstattungspflicht ablehnten, hat die Klägerin die vorliegende Klage beim Verwaltungsgericht Stuttgart erhoben und beantragte, das Jugendamt der Beklagten zur Erstattung der Kosten nach § 89b SGB VIII zu veruteilen. Weiterhin beantragte sie, hilfsweise den überörtlichen Träger zur Erstattung zur verurteilen. Beide Beklagten beantragten, die Klage abzuweisen.
Das Verwaltungsgericht hat entschieden, dass die Klage im Haupt- wie auch im Hilfsantrag keinen Erfolg hat.
Eine Kostenerstattung nach § 89b Abs. 1 SGB VIII sei ausgeschlossen, da sich die Zuständigkeit nicht nach einem gewöhnlichen Aufenthalt nach § 86 SGB VIII, sondern dem tatsächlichen Aufenthalt nach § 88a SGB VIII begründe.
Ein Anspruch nach § 89d SGB VIII gegen den beklagten überörtlichen Träger scheide ebenfalls aus, da die Inobhutnahme nicht innerhalb eines Monats nach Einreise erfolgte.
Auch eine Erstattung nach § 89b Abs. 2 und § 89 SGB VIII komme nicht in Betracht, weil sie sich nur gegen den überörtlichen Träger richten, zu dessen Bereich der örtliche Träger gehöre. Außerdem würde eine Anwendung daran scheitern, dass sich die örtliche Zuständigkeit nicht nach einem tatsächlichen Aufenthalt nach den Vorschriften der §§ 86, 86a oder 86b SGB VIII richte und nicht für eine Inobhutnahme gelte.
Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart
Betriebserlaubnispflichtige Einrichtung bei familienähnlicher Betreuungsform; §§ 45,45a SGB VIII
Verwaltungsgericht Bayreuth, Beschluss vom 31. Januar 2022
Az. B 10 E 21.1315
Die Antragstellerin ist ein bundesweit tätiger Träger von Erziehungsstellen und bietet Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe in familienähnlichen Betreuungsformen in Gestalt von Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen an. Aufgrund eines Standortwechsels beantragte die Antragstellerin bei der Regierung von Oberfranken, der Antragsgegnerin, die Änderung der bisherigen Betriebserlaubnis und hilfsweise die Neuerteilung einer Betriebserlaubnis. Die Antragsgegnerin lehnte beide Anträge ab. Die bestehende Betriebserlaubnis für den alten Standort wurde mit Wirkung für die Zukunft zurückgenommen.
Die Antragstellerin hat dagegen einerseits Klage erhoben und andererseits einstweiligen Rechtsschutz begehrt.
Das Verwaltungsgericht Bayreuth hat den zulässigen Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz in der Sache abgewiesen. Der Antrag sei nicht begründet, da die Antragstellerin weder einen Anordnungsanspruch, noch einen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht habe.
Es fehle an einem Anordnungsanspruch im Rahmen der Grundsätze des einstweiligen Rechtsschutzes, da nicht überwiegend wahrscheinlich sei, dass die mit der Hauptsache erstrebte (geänderte) Betriebserlaubnis für die Erziehungsstelle zu erteilen sei. Die Erziehungsstelle sei auf Grundlage der aktuellen Gesetzeslage, insbesondere dem neuen § 45a S.2 und 3 SGB VIII, allem Anschein nach nicht erlaubnispflichtig.
Es bestehe höchstwahrscheinlich kein Anspruch auf Erteilung einer Betriebserlaubnis nach § 45 Abs. 1 S. 1, Abs. 2 S.1 SGB VIII, da es an einer erlaubnispflichtigen Einrichtung fehle. Es handele sich vorliegend zwar um eine auf gewisse Dauer und unter der Verantwortung eines Trägers angelegte förmliche Verbindung ortsgebundener, räumlicher, personeller und sachlicher Mittel mit dem Zweck der ganztägigen oder über einen Teil des Tages erfolgenden Betreuung oder Unterkunftsgewährung von Kindern und Jugendlichen außerhalb ihrer Familie. Doch greife hier vermutlich die Ausnahme des § 45a S. 2 SGB VIII, da hier keine fachliche und organisatorische Einbindung in eine betriebserlaubnispflichtige Einrichtung gegeben sei.
Auch könne sich kein Anspruch auf eine (geänderte) Betriebserlaubnis aus § 48a SGB VIII ergeben. Das Verwaltungsgericht geht davon aus, dass, wenn der Antragstellerin nach dem im Beschluss Ausgeführten, der Einrichtungskontext im Sinne des § 45a S. 2 und S.3 SGB VIII fehle, dies auch dann zu gelten habe, sofern man sie als „sonstige Wohnform“ im Sinne des § 48a SGB VIII qualifiziere.
Ein Anordnungsgrund habe die Antragstellerin ebenfalls nicht geltend gemacht. Sowohl nach Ansicht des Gerichts, als auch nach Ansicht der Antragsgegnerin, bedürfe die Antragstellerin keine Betriebserlaubnis zur Fortführung der Erziehungsstelle, sie sei vielmehr erlaubnisfrei.
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