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Pressemeldung

"Der Corona-Marathon führt zu großer persönlicher Erschöpfung"

Interview mit Anja Stahl vom Verband alleinerziehender Mütter und Väter e.V. (VAMV) NRW über die Situation von Alleinerziehenden in der Coronakrise.

"24/7 nur meine Verantwortung, meine Regie und meine Energie" beschreibt eine Alleinerziehende auf socialmoms.de ihre Situation während des Lockdowns. Viele Alleinerziehende befanden sich auch vor der Corona-Pandemie an der Belastungsgrenze. Vor welchen neuen Herausforderungen stehen sie im Lockdown?

Für viele Alleinerziehende ist die Welt aus den Fugen geraden, denn plötzlich waren sie tatsächlich allein. Im ersten Lockdown brach die reguläre Kinderbetreuung für eine zeitlang komplett weg. Gewohnte Strategien und Betreuungsnetzwerke, die normalerweise helfen, Familie und Beruf zu vereinbaren, funktionierten plötzlich nicht mehr. Großeltern oder Freunde konnten bei der Kinderbetreuung nicht mehr unterstützen. Die Erwerbstätigkeit parallel zur Vollzeit-Betreuung der eigenen Kinder war nicht zu leisten. Das hat sich beim zweiten Lockdown erfreulicherweise ein wenig entspannt, weil viele Alleinerziehende die Notbetreuung nutzen konnten. Aber jetzt merken wir, dass der Corona-Marathon zu großer persönlicher Erschöpfung führt. Auch die finanziellen Einbußen, unter denen Alleinerziehende in Kurzarbeit oder Teilzeit leiden, hinterlassen Spuren.

Mit welchen Fragestellungen suchen Alleinerziehende bei der Corona-Krisen-Hotline des VAMV NRW Rat?

Gerade im ersten Lockdown waren die Folgen für Alleinerziehende massiv. Bei der Corona-Hotline gab es immer wieder Anrufer*innen, die schilderten, dass Arbeitgeber*innen wenig Verständnis für die nur eingeschränkte Verfügbarkeit ihrer Arbeitnehmer*innen hatten. Einige Anrufer*innen fühlten sich massiv unter Druck gesetzt. Ihnen wurden Aufhebungsverträge angeboten, Kündigungen ausgesprochen oder der Lohn wurde einfach gekürzt. Beim zweiten Lockdown merken wir, dass die psychosoziale Situation viele Alleinerziehender stark belastet. Die Kontaktsperre, das Wegfallen der Betreuung und ein zum Teil geringeres Einkommen durch Kurzarbeit oder Stundenreduzierungen setzten Alleinerziehende enorm unter Druck. Ihr ohnehin häufig durchgetakteter Alltag wurde auf den Kopf gestellt und nicht wenige haben damit schwer zu kämpfen.

Wie leistet die Hotline Hilfestellung?

Wir bieten mit der telefonischen Beratung eine schnelle und unbürokratische Hilfestellung. Unsere Fachberatung gibt Alleinerziehenden Informationen zu rechtlichen Rahmenbedingungen, finanziellen Hilfen und lotst bei Bedarf in weitere Angebote vor Ort.

Welche Perspektiven wünschen Sie sich für Alleinerziehende während des Lockdowns?

Wir beobachten, dass bei vielen Eltern die Nerven blank liegen, die Erschöpfung und Überlastung größer wird und das Konfliktpotenzial steigt. Bestehende Konflikte mit Arbeitgeber*innen oder in Trennungsfamilien verschärfen sich. Alleinerziehende müssen stärker in den Fokus der Politik rücken. Unterstützungsleistungen wie das Kinderkrankengeld aber auch Maßnahmen zur Eindämmung des Infektionsgeschehens wie Schließung von Schulen und Kitas wurden zu sehr von den Möglichkeiten der Paarfamilie aus gedacht.

Anja Stahl hat Politikwissenschaft und Soziologie in Bamberg studiert. Beim VAMV NRW unterstützt sie die Hotline im Hintergrund und bereitet aktuelle Informationen auf. Gleichzeitig ist sie seit 2019 für den Transfer des Angebote „Sonne, Mond und Sterne – ergänzende Kinderbetreuung“ in andere Kommunen zuständig.