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Pressemeldung

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Bestmögliche Hilfe für Opfer von Gewalttaten

Opferentschädigungsgesetz tritt für gesundheitliche Schädigungen ein / LVR prüft und bewilligt Leistungen im Rheinland

Der Landschaftsverband Rheinland prüft und bewilligt Anträge nach dem Opferentschädigungsgesetz im Rheinland im Auftrag des Landes NRW. Ein wichtiges Ziel ist es, die körperliche und seelische Gesundheit von Menschen, die Opfer einer Gewalttat geworden sind, und ihre gesellschaftliche und berufliche Teilhabe wiederherzustellen. Der LVR hat das Ziel den Opfern von Gewalttaten bestmögliche Hilfe zukommen lassen, damit extrem belastende Situationen besser verarbeitet werden können und ein unbeschwertes Leben für Betroffene wieder möglich wird.

Wenn die rechtlichen Voraussetzungen nicht erfüllt oder nicht mehr gegeben sind, müssen Leistungen aber auch versagt oder in ihrer Bewilligungsdauer begrenzt werden. Peter Anders, LVR-Fachbereichsleiter Soziale Entschädigung, und Dr. Jörn Biesenbach, LVR-Abteilungsleiter Medizinischer Dienst, erläutern die Hilfen des LVR.

Warum gibt es das Opferentschädigungsgesetz?

Anders: Der deutsche Staat hat das sogenannte Gewaltmonopol. Vereinfacht gesagt heißt das, dass der Staat für die Sicherheit und körperliche Unversehrtheit seiner Bürger*innen sorgt und diese sich dafür nicht selber „bewaffnen“ dürfen, um sich zu schützen. Wer dann wegen einer Gewalttat zu Schaden kommt, erbringt für die Gemeinschaft ein Sonderopfer, weil durch sie nicht jedem Menschen ein individueller Schutz zur Seite gestellt werden kann. Erleidet dieser dadurch eine gesundheitliche Schädigung, tritt der Staat dafür ein. Ein weiterer Grund liegt auch darin, dass Opfer in den meisten Fällen keine oder nicht ausreichende Kompensation von Täter*innen erhalten können.

Wer kann Leistungen nach dem OEG erhalten?

Anders: Jeder, der infolge eines vorsätzlichen, rechtswidrigen und tätlichen Angriff eine gesundheitliche Schädigung erlitten hat. Dazu gehört beispielsweise auch eine Schädigung die ein Mensch erleidet, der vom Tod eines nahen Angehörigen durch eine Gewalttat erfährt.

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Peter Anders, LVR-Fachbereichsleiter Soziale Entschädigung. Foto: Heike Fischer / LVR

In der Presse ist von Fällen zu lesen, in denen Leistungen nach dem OEG versagt wurden, obwohl Betroffene anerkannte Opfer einer Gewalttat sind. Woran liegt das?

Anders: Das kann unterschiedliche Gründe haben. Zum einen kann nicht das erleiden einer Gewalttat an sich entschädigt werden. Es kann nur die aus der Gewalttat resultierende gesundheitliche Schädigung entschädigt werden. Dann kann es sein, dass eine erlittene Schädigung folgenlos abheilt. In diesem Fall wird auch entschädigt, aber die Betroffenen merken davon nichts: Die Krankenkasse des Opfers erhält die Behandlungskosten erstattet.

Können Leistungen auch wieder entzogen werden?

Anders: Der Umfang von Entschädigungsleistungen ist regelmäßig an die gesundheitliche Entwicklung und an Veränderungen anzupassen, die sich hinsichtlich der anerkannten Schädigungsfolgen beim betroffenen Menschen ergeben. Sofern die Schädigung nicht eindeutig dauerhafter Natur ist, wird auch durchaus nach einiger Zeit überprüft, ob die gesundheitlichen Einschränkungen noch bestehen. Es ist aber auch möglich die Entschädigungsleistungen zu erhöhen, wenn sich der gesundheitliche Zustand weiter verschlechtert hat.

Wie verhält es sich mit dem kausalen Zusammenhang? Ist dieser denn nicht relativ leicht festzustellen?

Anders: Leider nicht immer. Wir müssen uns daher jeden Einzelfall sehr genau anschauen. Ein Beispiel: Das Opfer eines Angriffs wird am Auge verletzt. Medizinisch wird ein Monokelhämatom, ein blaues Auge, und eine Erblindung des Auges diagnostiziert. Nun geht es um die Frage, ob der Schlag auf das Auge die Ursache für das Hämatom und die Erblindung dieses Auges war. Während die Aufklärung in Bezug auf das Hämatom noch relativ einfach zu beantworten ist, muss bei der Frage nach der Erblindung auch geprüft werden, ob diese Schädigung ihre Ursache ebenfalls in dem Schlag hatte oder eventuell schon vorher bestand beziehungsweise konkurrierende Faktoren in Frage kommen könnten. Denkbar ist eine nicht-traumatische Erkrankung des Sehnervs. Wenn der kausale Zusammenhang zu der Gewalttat nicht gegeben ist, können im geschilderten Fall die Behandlung des Hämatoms über das OEG kompensiert werden, die lebenslangen Folgen durch die Blindheit des Auges aber nicht.

Schwieriger wird es auch, wenn beispielsweise Posttraumatische Belastungsstörungen schon vor der Tat bestanden oder auch erst nach der Tat eintreten, dann aber eine andere Ursache als die Tat haben.

Wie geht der LVR dabei vor?

Anders: Der LVR muss Auskünfte über den Gesundheitszustand der Antragsteller*innen aus der Zeit vor der Gewalttat, aber auch für die Zeit nach der Gewalttat einholen und auswerten. Zur Beantwortung medizinischer Fragen werden vorhandene Behandlungsberichte von Ärzt*innen und Kliniken herangezogen, Rentengutachten ausgewertet und Stellungnahmen angefordert. Oft wird auch ein Untersuchungsgutachten durch eine*n externe*n Gutachter*in in Auftrag gegeben. Dieses wird dann vor einer abschließenden Entscheidung vom Medizinischen Dienst des LVR-Fachbereichs Soziale Entschädigung validiert.

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Dr. Jörn Biesenbach, LVR-Abteilungsleiter Medizinischer Dienst. Foto: Heike Fischer / LVR

Wie werden solche medizinischen Begutachtungen durchgeführt?

Biesenbach: Wenn nur unzureichend aussagekräftige Unterlagen herangezogen werden können, wird alles Wichtige zur gesundheitlichen Situation durch ein persönliches Gespräch im Rahmen des Untersuchungsgutachtens erhoben. Die dafür beauftragten Sachverständigen – die über einen erforderlichen Facharzttitel beziehungsweise eine vergleichbare psychologische Qualifikation verfügen müssen – stimmen dazu direkt mit den Antragstellenden einen Termin ab. In dem persönlichen Gespräch soll dann ein möglichst genauer Eindruck der Lebenssituation der Betroffenen vor und nach der Gewalttat erfasst werden, um die mit Wahrscheinlichkeit durch die Gewalttat verursachten Folgen benennen und in ihrem Ausmaß bewerten zu können. Zum Termin können die Antragstellenden auch eine Vertrauensperson mitbringen, die vor und nach dem persönlichen Gespräch unterstützen kann.

Als Sachverständige stehen dem Medizinischen Dienst in der Regel ärztliche Kolleg*innen aus den Fachgebieten Psychiatrie, Neurologie, Orthopädie, HNO und Augenheilkunde zur Verfügung.

Wie können Gutachten bei mehreren gesundheitlichen Beeinträchtigungen bewerten, welche auf die Tat zurückzuführen sind und welche nicht?

Biesenbach: Unter Berücksichtigung der bereits vorhandenen medizinischen Unterlagen ist für die gutachtliche Unterscheidung schädigungsabhängiger und schädigungsunabhängiger Beeinträchtigungen eine ausführliche biografische Anamnese und eine sorgfältige Erhebung der Krankheitsvorgeschichte erforderlich. Dies ist genauso wichtig wie der Blick auf die Symptomentwicklung nach der relevanten OEG-Tat. Nur so können konkurrierende Faktoren und die darauf zurückzuführenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen erfasst und abgegrenzt werden, um die tatsächlich noch vorhandenen Tatfolgen auch angemessen benennen und bewerten zu können.

Wie zuverlässig sind die Ergebnisse?

Biesenbach: Die Gutachten werden von klinisch erfahrenen Fachärzt*innen beziehungsweise psychologischen Psychotherapeut*innen erstellt, die gleichzeitig als Sachverständige über fundierte Kenntnisse im Rechtsgebiet der Sozialen Entschädigung verfügen. Die Ergebnisse der Gutachten erfüllen somit alle fachlichen Voraussetzungen und sind vom Grundsatz zuverlässig. Wie bei jeder medizinischen Diagnostik fließen auch im Begutachtungswesen individuelle, im Beruf gewonnene Erfahrungswerte mit früher bereits bewerteten, ähnlich gelagerten Sachverhalten ein. Eine objektive Gewissheit kann es in der Medizin und eben auch in der Begutachtung letztlich nicht geben. Diese Problematik ist insbesondere bei den im OEG besonders häufig vorkommenden psychischen Gesundheitsstörungen gegeben. Die psychische Gesundheit beziehungsweise Erkrankung – egal ob schädigungsabhängig oder schädigungsunabhängig – ist kein statisches Konstrukt, sondern ein dynamisches Kontinuum. Symptome psychischer Gesundheitsstörungen können sich über den zeitlichen Verlauf verbessern und verschlimmern. Dies ist von unterschiedlichsten äußeren Lebensumständen abhängig, welche ebenfalls durch schädigungsabhängige und/oder schädigungsunabhängige Faktoren beeinflusst werden. Die Ergebnisse der Begutachtung bilden somit eine anlassbezogene Momentaufnahme ab. Umso wichtiger ist es daher im Gutachten, die Ergebnisse der Untersuchung in einen Kontext mit dem langfristigen Erkrankungsverlauf zu setzen, der sich aus den angeforderten umfangreichen medizinischen Unterlagen der Akte ergibt.

Welche Möglichkeiten haben Betroffene, wenn sie mit der Entscheidung zu ihrem Antrag nicht einverstanden sind?

Anders: Der LVR prüft und entscheidet selbstverständlich jeden Antrag mit großer Sorgfalt. Betroffene können aber natürlich einen anderen Blick auf den Sachverhalt haben und mit der Entscheidung, oder auch nur Teilen der Entscheidung, nicht einverstanden sein. Es besteht dann die Möglichkeit, Widerspruch einzulegen. Im Widerspruchsverfahren wird der Sachverhalt dann insgesamt nochmals, unter Berücksichtigung des neuen Vorbringens der Betroffenen, überprüft und bewertet. Es kann sein, dass dann abgeholfen werden kann. Wenn nicht, dann kann Klage vor dem Sozialgericht erhoben werden. Ab diesem Zeitpunkt obliegt es dem Gericht, den Sachverhalt komplett zu ermitteln und eventuell auch eigene Gutachten einzuholen. Sollte das Gericht der Einschätzung des LVR folgen, fühlen wir uns aber dennoch nicht als Sieger. Denn Betroffene bleiben das Opfer einer Gewalttat – auch wenn die gesundheitlichen Folgen nicht so gravierend sind, dass eine Rente gezahlt werden kann.

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