Pressemeldung
Newsletter "Rechtsfragen der Jugendhilfe"
Ausgabe August 2025
Inhalt dieser Ausgabe:
1. Rechtsprechung
Verletzung des Elterngrundrechts bei langjährigem Umgangsausschluss
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 10. Juni 2025
Az. 1 BvR 1931/25
Der Beschwerdeführer ist Vater einer im Juni 2012 geborenen Tochter und eines im März 2015 geborenen Sohnes. Nach der Trennung der Eltern im Februar 2021 übertrug das damals zuständige Familiengericht im Wege einer einstweiligen Anordnung das Aufenthaltsbestimmungsrecht und die Gesundheitssorge auf die Mutter.
Im Ausgangsverfahren vor dem Amtsgericht – Familiengericht – beantragte der Beschwerdeführer die Gewährung eines Umgangs mit seinen Kindern an jedem zweiten Wochenende. Im Verfahren wiederholten die Tochter und die Mutter ihre im Verfahren über die einstweilige Anordnung getroffenen Aussagen, wonach der Beschwerdeführer in der Zeit des Zusammenlebens sowohl die Tochter, als auch die Mutter und den jüngeren Sohn geschlagen und diese häufig angeschrien habe.
Das Familiengericht schloss den Umgang des Beschwerdeführers mit beiden Kindern jeweils bis zu deren 18. Lebensjahr zur Abwehr einer Kindeswohlgefährdung nach § 1684 Absatz 4 Satz 2 BGB aus.
Den Ausführungen folgte das Oberlandesgericht. Bei einer Fortführung der Umgänge mit dem Beschwerdeführer drohe eine Traumatisierung der Kinder aufgrund der bereits erlebten oder Angst vor noch zu erwartenden Gewalterfahrungen und Todesdrohungen. Um eine Erfahrung der Missachtung der eigenen Persönlichkeit durch einen aufgezwungenen Umgang zu vermeiden sei zudem der Wille der Tochter, ihren Vater nicht sehen zu wollen, zu beachten. Folglich sei der Umgang dauerhaft auszuschließen, da immer wieder neue befristete Umgangsreglungen samt gerichtlicher Verfahren die Kinder noch weiter belasten würden.
Hiergegen wendete sich der Beschwerdeführer mit seiner Verfassungsbeschwerde.
In seiner Entscheidung stellte das Bundesverfassungsgericht fest, dass der Beschluss des OLG den Beschwerdeführer in seinem Elterngrundrecht aus Art. 6 II S. 1 GG verletzt.
Um einen Eingriff in dieses Grundrecht bei einem lang andauernden Umgangsausschluss zu rechtfertigen, müsse das zuständige Gericht die dem Kind drohenden Schäden ihrer Art, Schwere und Eintrittswahrscheinlichkeit nach konkret benennen. Diesen strengen Begründungsanforderungen sei das OLG nicht gerecht geworden. Es sei nicht erkennbar, auf welche Erkenntnisgrundlage es die angenommene drohende Traumatisierung der Kinder stütze. Es habe zwar die stattgefundene Gewalt des Beschwerdeführers gegenüber der Mutter und den Kindern festgestellt, nicht aber ausgeführt, warum dies die Annahme einer Traumatisierung rechtfertige. Eine Begutachtung oder Stellungnahme des Jugendamtes oder der Verfahrensbeiständin sei hierzu nicht erfolgt. Richtig sei zwar, dass auch der Wille der Kinder zu beachten sei, außer es sei eine offensichtlich durch einen Elternteil manipulierte Äußerung des Kindes erkennbar. Aus diesem Grund müsse das zuständige Gericht aber die Ursachen für diese ablehnende Haltung ermitteln und hinterfragen, was nicht geschehen sei. Dies gelte vor allem für den jüngeren Sohn, der sich kaum noch an den Beschwerdeführer erinnern könne.
Schließlich sei auch der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz nicht ausreichend berücksichtigt worden. Das Oberlandesgericht habe nicht ausreichend erläutert, warum ein begleiteter Umgang oder zumindest ein befristeter Umgangsausschluss als milderes Mittel nicht in Betracht kommen. Da es sich um das erste Umgangsverfahren der Beteiligten handelt, habe es insbesondere nicht hinreichend festgestellt, warum zu einem späteren Zeitpunkt erneut stattfindende gerichtliche Umgangsverfahren zu einer unzumutbaren Belastung der Kinder führen würden.
Beschleunigungsgebot in Kindschaftssachen bei unbekanntem Aufenthalt des Kindes im Ausland
Oberlandesgericht Schleswig, Beschluss vom 29. November 2024
Az. 15 WF 249/24:
In einem seit dem 11. August 2023 laufenden Sorgerechtsstreit begehrt der Vater die Übertragung der alleinigen elterlichen Sorge auf sich. Bereits am 15. Juli 2023 hatten die Mutter und das Kind Deutschland verlassen. Ihr derzeitiger Aufenthaltsort ist unbekannt. Zu den vom Familiengericht festgesetzten Anhörungsterminen erschienen sie nicht. Aus diesem Grund teilte das Familiengericht aufgrund einer Verfügung vom 17. Oktober 2024 mit, dass es derzeit keine Möglichkeit sehe, das Verfahren zu fördern.
Hiergegen erhob der Vater eine Beschleunigungsrüge, die das Gericht zurückwies und damit begründete, dass eine Kindesanhörung nach § 159 I FamFG nicht durchzuführen sei. Die folgende Beschwerde des Vaters zum Oberlandesgericht richtet sich hiergegen.
Das Oberlandesgericht hat auf die Beschwerde festgestellt, dass das bisherige Verfahren des Familiengerichts nicht dem Beschleunigungsgebot des § 155 I FamFG gerecht wird. Dieses Gebot sei auch auf Sorgerechtsstreitigkeiten anzuwenden, da auch diese den Aufenthalt des Kindes beträfen. Das Familiengericht habe zu Unrecht eine Fortsetzung des Verfahrens verweigert. Der geltende Amtsermittlungsgrundsatz verpflichte es auch, nach Ausschöpfung aller möglichen Ermittlungen eine Sachentscheidung zu treffen. Der Verfahrensaufschub komme einer Aussetzung des Verfahrens gleich, obwohl hierfür die Voraussetzungen des § 21 I FamFG nicht vorlägen. Es sei nicht zu erwarten, dass sich zu einem späteren Zeitpunkt bessere Erkenntnismöglichkeiten ergäben, da mit einer Rückkehr der Mutter und dem Kind nach Deutschland nicht gerechnet werden könne. Von einer Kindesanhörung könne im vorliegenden Fall gem. § 159 II Nr. 1 FamFG abgesehen werden, da ein schwerwiegender Grund hierfür vorläge, was der Fall sein könne, wenn aufgrund tatsächlicher Verhältnisse vor Ort auf absehbare Zeit eine Durchführung eines Anhörungstermins nicht möglich sei.
Ausschlussfrist nach § 111 SGB X
Bayerischer Verwaltungsgerichtshof, Beschluss vom 23. Juli 2025
Az. 12 BV 24.772
Nach seiner Einreise nach Deutschland wurde ein Minderjähriger durch die Klägerin vorläufig in Obhut genommen. Aufgrund der Zuweisung nach § 42b SGB VIII erfolgte die Inobhutnahme nach § 42 SGB VIII durch ein Jugendamt in einem anderen Bundesland, wodurch die vorläufige Inobhutnahme durch die Klägerin innerhalb eines Monats beendet wurde.
Mehr als ein Jahr nach Beendigung der vorläufigen Inobhutnahme beantragte die Klägerin beim Beklagten die Erstattung der Kosten gemäß § 89d Absatz 1 SGB VIII. Der Beklagte lehnte die Erstattung der Kosten unter Verweis auf den Ablauf der Ausschlussfrist gemäß § 111 Satz 1 SGB X ab.
Gegen die Entscheidung, die vor dem Verwaltungsgericht München erfolglos angegriffen wurde, legte die Klägerin Berufung vor dem Bayerischen Verwaltungsgerichtshof ein.
Nach Auffassung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs wurde der Anspruch auf Kostenerstattung nach § 89d Abs. 1 SGB VIII zu Recht abgelehnt. Das Verwaltungsgericht sei zutreffend davon ausgegangen, dass die von der Klägerin nach § 42a SGB VIII erbrachte vorläufige Inobhutnahme und die anschließende, durch das Zuweisungsjugendamt nach § 42 SGB VIII erbrachte Inobhutnahme nicht als einheitliche Leistung im Sinne des § 111 Satz 1 SGB X zu betrachten sind. Stattdessen handele es sich um verschiedene aufeinander aufbauende Maßnahmen. Ein Wechsel beim zuständigen Träger habe eine Zäsur zur Folge, die den Erstattungsanspruch begrenze, die Leistung im jugendhilferechtlichen Sinne beende und zugleich den Beginn der Ausschlussfrist markiere.
2. Publikationen
Bericht über die Situation unbegleiteter Minderjähriger
Die Bundesregierung hat am 24. Juli 2025 einen Bericht über die Situation unbegleiteter ausländischer Minderjähriger (UMA) in Deutschland veröffentlicht. Er beschreibt die Lebenslagen der unbegleiteten Kinder und Jugendlichen basierend auf Daten zu behördlichen Verfahren und Strukturen, amtlicher Statistiken sowie auf Ergebnisse aktueller Befragungen. Die Bundesregierung kommt mit dem Bericht ihrer gesetzlichen Verpflichtung nach, jährlich über die Situation über die Situation von UMA zu berichten. Der Bericht stellt unter anderem die Entwicklung der Fallzahlen, die Lebenslagen und das Wohlbefinden sowie die Angebote zur Versorgung und Betreuung dar.
Bericht der Bundesregierung zur Situation unbegleiteter Minderjähriger
Ergänzungspflegschaft im Strafverfahren – Fragen und Antworten (FAQ)
Das Bundesforum Vormundschaft und Pflegschaft hat Fragen und Antworten der Praxis zur Vertretung von Kindern und Jugendlichen im Strafverfahren wegen erlebter Gewalt zusammengestellt. Kinder und Jugendliche sind in diesen Verfahren wichtige Zeuginnen und Zeugen und zugleich besonderen Belastungen ausgesetzt. Fachkräfte der Vormundschaft/Pflegschaft können im Rahmen der Amtsvormundschaft mit der Vertretung in Strafverfahren befasst sein oder übernehmen Ergänzungspflegschaften.
Gutachten zu kinderrechtlichen Aspekten der Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylsystems (GEAS)
Der Bundesfachverband Minderjährigkeit und Flucht e.V. (BuMF) hat ein Gutachten zu den Auswirkungen der GEAS-Reform veröffentlicht. Mit dieser Reform, die im Juni 2026 in Kraft tritt, soll eine europaweite Harmonisierung des Migrationsrechts umgesetzt werden.
Der Schwerpunkt des Gutachtens liegt auf den Auswirkungen auf Kinder und Jugendliche, darunter auch unbegleitete ausländische Minderjährige. Eine wesentliche Feststellung ist unter anderem, dass die bestehenden rechtlichen Vorgaben zum Schutz von ausländischen Kindern und Jugendlichen in Deutschland weitgehend vorhanden bleiben. Aufgrund der Komplexität der Rechtsmaterie werde dies aber kaum deutlich. Kritisch gesehen werden allerdings die Verfahren an den EU-Außengrenzen.
Ratgeber für schwerbehinderte Menschen – Infos in Leichter Sprache
Der Ratgeber für schwerbehinderte Menschen – Infos in Leichter Sprache befasst sich mit dem Schwerbehindertenausweis, der Antragsstellung und erklärt Vorteile. Auch wird der Grad der Behinderung (GdB) und dessen Berechnung erklärt. Weiterhin werden die verschiedenen Merkzeichen erläutert. Erwachsene, Kinder und Jugendliche erhalten diese unter denselben Voraussetzungen – mit Ausnahme des Merkzeichens „H“ (Hilflosigkeit), das bei Kindern keinen Pflegegrad erfordert.
Die Broschüre wurde im Juni 2025 vom Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes Nordrhein-Westfalen veröffentlicht. Die Broschüre ist 20 Seiten lang und in einfacher Sprache verfasst.
Ratgeber des MAGS NRW für schwerbehinderte Menschen – Infos in Leichter Sprache
Datenschutzgrundverordnung und Bundesdatenschutzgesetz
Eine Informationsbroschüre des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit gibt einen Überblick über die Regelungen der DSGVO und des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und eine praxisorientierte Einführung in das deutsche Datenschutzrecht. Sie richtet sich an Bürger, Behörden, Unternehmen sowie Datenschutzbeauftragte. Sie erklärt die wesentlichen Regelungen des Bundesdatenschutzgesetzes (BDSG) und der Datenschutz-Grundverordnung (DSGVO) und gibt praxisnahe Hinweise zur Umsetzung.
Die Pflichten der datenverarbeitenden Stellen, wie die Erstellung von Verzeichnissen, Datenschutz-Folgenabschätzungen und die Benennung von Datenschutzbeauftragten werden erläutert. Außerdem werden die Rechte der Betroffenen – etwa Auskunft, Berichtigung, Löschung und Widerspruch – sowie deren praktische Umsetzung erklärt. Die Broschüre beschreibt die Aufgaben der Aufsichtsbehörden und zeigt auf, wie Verstöße gemeldet und sanktioniert werden können. Spezielle Themen wie Datenschutz im Beschäftigungskontext, Videoüberwachung und Tracking werden ebenfalls behandelt.
Informationsbroschüre des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit
3. Veranstaltungen
Rechtsfragen in der Pflegekinderhilfe – Schwerpunkt: Sonderzuständigkeit gemäß § 86 Abs. 6 SGB VIII
In einer halbtägigen Online-Veranstaltung am 11. Dezember 2025 wird Diana Eschelbach grundlegende Informationen zu den vielfältigen Fragestellungen im Umgang mit § 86 Abs. 6 SGB VIII vermitteln.
Unter anderem werden Themen sein, welche Voraussetzungen vorliegen müssen, damit § 86 Abs. 6 SGB VIII greift, was bei Übergaben zwischen Jugendämtern zu beachten ist und welche Leistungen von den Regelungen des § 86 Abs. 6 SGB VIII umfasst sind.
Veranstaltungsseite im Online-Katalog
Fachtagung unbegleitete minderjährige Geflüchtete
Die Landschaftsverbände Westfalen-Lippe und Rheinland bieten am 4. Dezember 2025 eine Fachtagung zu aktuellen Themen, Fragestellungen und Entwicklungen an. Die Betreuung, Begleitung und Unterbringung von unbegleiteten minderjährigen Geflüchteten stellt die örtlichen Träger der Kinder und Jugendhilfe vor große Herausforderungen. Ziel der Fachtagung ist es, mehr Handlungsmöglichkeiten aufzuzeigen und Handlungssicherheit zu vermitteln. Angeboten werden Kurzvorträge sowie Workshops. Veranstaltungsort ist der Wissenschaftspark in Gelsenkirchen.
4. Aktuelles
Rechte in der Jugendhilfe
Das Bundesnetzwerk Ombudschaft Kinder- und Jugendhilfe hat auf seiner Website Informationen zu den Rechten für junge Menschen in der Jugendhilfe zusammengestellt.
Das Projekt "Mist, eine Frist!- Rechte- Knowhow für die Jugendhilfe" hat verschiedene Ansatzpunkte, um jungen Menschen ihre Rechte näher zu bringen. Fake-Whats-App-Chats zeigen auf witzige Art echte Probleme und erklären, welche Rechte den Betroffenen zustehen. Zudem gibt es Sticker, Merch und klare Forderungen unmittelbar aus der Lebensrealität junger Menschen.
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