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Rockmusik statt Pfingsteiersingen

Religiöse Traditionen und Freizeitkulturen im Wandel / Dr. Dagmar Hänel im Interview zu neuen Ritualen und Traditionen rund um das Pfingstfest

Köln. 27. Mai 2020. Pfingsten ist eines der kompliziertesten kirchlichen Feste: Die biblische Geschichte erzählt von Aposteln, auf die Flammen regnen und die plötzlich in fremden Sprachen reden können. Daran zu erinnern und dabei die religiösen Bedeutungen zu vermitteln, war schon in den letzten 200 Jahren eine Herausforderung. Kein Wunder also, dass dieses Fest mit seinen zwei freien Feiertagen schon früh auch weltliche Brauchelemente entwickelte. Das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte (LVR-ILR) erforscht unter anderem, wie sich Bräuche und Rituale über die Zeit verändern oder ersetzt werden. Was das für das Pfingstfest bedeutet, erklärt Dr. Dagmar Hänel, Kulturanthropologin beim LVR-ILR.

Frau Dr. Hänel, woher kommt das Wort Pfingsten und welche Bedeutung hat das Fest im christlichen Glauben?

Hänel: „Die kirchliche Pfingsttradition ist mit dem Ende des Osterfestkreises verbunden. Schon der Name, der sich vom griechischen Pentakoste, dem fünfzigsten Tag ableitet, verweist auf den Osterbezug. 50 Tage nach Ostern versammelten sich die Jünger in Jerusalem. Dort kam es zu einer kollektiven spirituellen Erfahrung, bei der die Jünger vom Heiligen Geist in Form einer Taube mit der Gabe des Redens ausgestattet und in die Welt entsandt wurden, um die neue göttliche Botschaft zu verkünden. Theologisch ist das die Stiftungserzählung der christlichen Gemeinde, daraus erklärt sich die hohe Bedeutung des Festes.

Symbolisiert wurde diese Botschaft beispielsweise durch eine Taube, die beim Gottesdienst in den Kirchenraum hinabgelassen wurde. Manchmal geschah das auch etwas spektakulärer durch brennende kleine Lumpenfetzen, die als Flammenzungen auf die Gemeinde regneten – aufgrund der Brandgefahr wurde dieser Brauch aber schon im 17. Jahrhundert vielerorts verboten.

Der Pfingsttermin ist aber nicht nur im Christentum von Bedeutung, sondern auch ein jüdischer Festtermin: 7 Wochen nach Pessach wird Schawout, ein Frühlingsfest gefeiert, das an die Gesetzgebung durch Mose am Berg Sinai erinnert. Diese weltliche Tradition eines fröhlichen, lebensorientierten Festes wird schon im Mittelalter auch zu Pfingsten gepflegt: Überliefert sind beispielsweise Heerschauen mit Turnieren, Tanz und Musik in der höfischen Kultur. Johann Wolfgang von Goethe erinnert in seinem Epos Reinecke Fuchs an diese Festtradition, wenn er den ersten Gesang mit „Pfingsten, das liebliche Fest war gekommen; es grünten und blühten Feld und Wald ..“ beginnen lässt.“

Und was haben die „einfachen“ Bürgerinnen und Bürger gemacht? Wofür steht das lange Pfingstwochenende heute?

Hänel: „Nicht nur der Adel feierte zu Pfingsten, dessen Termin zwischen Ende Mai und Mitte Juni im Frühsommer klimatisch günstig für Outdoor-Aktivitäten liegt. Auch im ländlichen Raum und städtischen Bürgertum wurde das Pfingstwochenende für zahlreiche Aktivitäten genutzt: Pfingstsingen, Pfingstkirmes, Pfingsteierkronen, die den Festplatz schmücken, Umzüge der Maipaare mit Fahnenschwenken, Tanz und Vergnügen. Auch religiöse Bräuche setzen auf das gute Wetter: Zahlreiche Wallfahrten finden zu Pfingsten statt, gerne auch Umritte zu Pferd, die wie in Heddersdorf im Landkreis Hersfeld-Rotenburg mit einer Kirmes verbunden werden.

Während zahlreiche dieser traditionellen Bräuche seit Mitte des 20. Jahrhunderts verschwinden, entwickeln sich rund um den Pfingsttermin neue Rituale: Unterschiedliche Gruppen unserer zunehmend diversen Gesellschaft nutzen den Zeitrahmen des Pfingstfestes, um spezifisch sinnstiftende Aktivitäten zu vollziehen, die Gemeinschaftserfahrungen vermitteln – und somit die Funktion von Ritualen übernehmen. So treffen sich Jugendgruppen in Pfingstlagern, Rockfans am Nürburgring, Jazzbegeisterte in Moers, Freundeskreise verreisen gemeinsam, Motorradfahrer sind in Gruppen auf Ausfahrt. Mancherorts tragen auch traditionelle Gruppen, wie Junggesellinnenvereine, Junggesellenvereine und Männervereine noch große Bedeutung für die lokale Gemeinschaft – wie beispielsweise in Küdinghoven, einem Ortsteil von Bonn. Dort markiert alljährlich noch die Pfingsteierkrone den Kirmesplatz. Zwar nicht in diesem Jahr, aber hoffentlich wieder im nächsten.“

Pressekontakt:
Mariessa Radermacher
LVR-Fachbereich Kommunikation
Tel. 0221 809-7764
Mail Mariessa.radermacher@lvr.de

Bilder zum Download:

  1. Porträt von Dr. Dagmar Hänel. Foto: Heike Fischer/LVR.

    Kulturanthropologin Dr. Dagmar Hänel leitet das LVR-Institut für Landeskunde und Regionalgeschichte und beobachtet Veränderungen im Alltag der Menschen im Rheinland. Foto: Heike Fischer / LVR

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  2. Festivalbühne mit zahlreichen Zuschauern davor.

    Die Bräuche und Traditionen haben sich über die Jahrhunderte stark gewandelt. Das Pfingstwochenende ist ein beliebtes Festivalwochenende geworden. Foto: Andrea Graf/LVR.

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