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Fragen an Martina Wenzel-Jankowski

Portrait von Martina Wenzel-Jankowski
Martina Wenzel-Jankowski, Leitung des LVR-Dezernat 8 - Klinikverbund und Verbund Heilpädagogischer Hilfen

Das Stigma einer psychischen Erkrankung hat sich stark verändert im Gegensatz zum Beispiel von vor 70 Jahren. Merken Sie das in Ihrer Arbeit in den psychiatrischen Kliniken?

Leider ist die Stigmatisierung psychischer Erkrankungen immer noch ein großes Problem. Viele Betroffene haben auch heute noch Angst, diskriminiert oder isoliert zu werden. Das hängt auch vom Krankheitsbild ab: Depressionen etwa sind bekannter und akzeptierter, da auch viele Prominente offen darüber sprechen. Die Stigmatisierung anderer psychischer Erkrankungen hat eher noch zugenommen, zum Beispiel bei Menschen mit schizophrenen Erkrankungen. Hier müssen wir noch viele Vorurteile abbauen.

Die psychiatrischen Kliniken haben einen starken Zulauf. Wie begegnen Sie dem?

Auf keinen Fall, indem wir mehr Betten aufstellen. Wir dezentralisieren unsere stationären Behandlungsangebote und bauen teilstationäre und ambulante Leistungen weiter aus. Außerdem bieten wir alternative Behandlungsformen, wie etwa stationsäquivalente Behandlung, mit denen wir unsere Patient*innen in ihrer gewohnten, häuslichen Umgebung unterstützen. Die Qualität der Behandlung „zu Hause“ gewährleisten wir durch multiprofessionelle Teams und vielseitige Therapieangebote.

Unter Protest der Bevölkerung werden derzeit neue forensische Kliniken in NRW gebaut. Wie begegnen Sie den Ängsten und Sorgen vieler Menschen?

Da hilft nur: reden, reden, reden! Wir haben Planungsbeiräte, das sind Fachleute aus verschiedenen Bereichen wie Medizin, Psychologie, Architektur, die eng mit der Gemeinde und der Bürgergesellschaft zusammenarbeiten. Dabei haben sie die Bedürfnisse der Patient*innen und der Bürger*innen im Blick. Übrigens ist bei guter Therapie die Rückfallgefahr bei forensisch untergebrachten Menschen im Allgemeinen geringer als bei Personen, die in „normalen“ Strafanstalten untergebracht sind. Auch so ein Vorurteil, das wir ausräumen müssen.

Wenn man auf 70 Jahre Landschaftsverband Rheinland schaut, landet man bald bei der Psychiatriereform. Was ist das größte Verdienst dieser Zeit des Umdenkens?

Die Psychiatrieenquete ist eines der wichtigsten und erfolgreichen Reformprojekte, sie hat nachhaltige Veränderungsimpulse ausgelöst. Die Behandlung psychisch erkrankter Menschen erfolgt heute überwiegend tagesklinisch und ambulant, mit mehr und qualifizierterem Fachpersonal als früher.

Von den vielen positiven Veränderungen möchte ich zwei besonders hervorheben: die Integration von Peer-Beratung und gemeindenahe Versorgung. Peer-Berater*innen haben selbst eine psychische Erkrankung erlebt. Dadurch können sie Betroffenen helfen, ihre Krankheit besser zu verstehen und ihre Fähigkeiten zu erkennen und zu stärken. Das ist ganz wichtig für den Heilungsprozess. Gemeindenahe Versorgung verbessert die Lebensqualität psychisch Erkrankter: sie bleiben in ihrem gewohnten Umfeld, haben ihre sozialen Kontakte und leben in der Gemeinschaft, auch so können Vorurteile abgebaut werden.

Wenn man bei sich, Angehörigen oder Freund*innen Symptome einer psychischen Erkrankung beobachtet, sollte man was tun?

Sich ganz schnell professionelle Unterstützung suchen! Angehörige und Freund*innen sollten sich nicht scheuen, ihre Beobachtungen anzusprechen. Professionelle erste Anlaufstellen sind zum Beispiel Hausärzt*innen. Aber auch Ratgeber, wie der LVR-Klinikverbund sie herausgibt, können erste wertvolle Tipps geben.

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