Kinder und Jugendliche psychisch und/oder suchtkranker Eltern
Gemeinsam abtauchen
Leon und Tobias sind ein super Team. Die vertrauensvolle Beziehung des 10-Jährigen zu seinem ehrenamtlichen Paten wurde von Lebensfarben e.V. auf den Weg gebracht. Der Verein macht sich professionell und zugleich mit viel Herzblut für Kinder und Jugendliche psychisch und/oder suchtkranker Eltern stark.
Von Natalie Deissler-Hesse, LVR-Landesjugendamt
Tauchen, springen, schwimmen, Hauptsache ab ins Wasser! Wenn der 10-jährige Leon von seinen Schwimmbaderlebnissen erzählt, kommt er schnell ins Schwärmen. Während viele Jungen seines Alters Zocken an Handys, PCs oder Konsolen als Lieblingsbeschäftigung angeben, will Leon ins Schwimmbad. Klar daddelt er auch mal gerne, doch seine Leidenschaft ist das Schwimmen. Was Leon so fröhlich und glücklich macht, liegt nicht nur der Bewegung im Wasser, sondern an einem ganz besonderen Menschen, der ihn ins Schwimmbad begleitet: sein Pate Tobias. Der junge Mann ist nicht etwa Taufpate von Leon, sondern ehrenamtlicher Pate bei "Lebensfarben – Hilfen für Kinder und Jugendliche e.V.". Er begleitet Leon als verlässliche Bezugsperson durch seine Kindheit und ist im Fall von schwierigen Situationen bereit, für Leon Brücken zu bauen. Krisen und eine angespannte Lage zuhause sind Leon und seinem jüngeren Bruder nicht fremd. Der Kontakt zum getrenntlebenden Vater ist schwierig und selten. Die Mutter, bei der die Jungen leben, leidet unter Depressionen. Der warmherzigen und aufgeschlossenen jungen Frau ist die Bürde der Kinder schmerzlich bewusst. Bei einem depressiven Schub ist sie mit sich selbst beschäftigt, der Haushalt bleibt liegen und die Kinder sind auf sich allein gestellt. Dass sie glauben könnten, ihre Mutter interessiere sich nicht für sie, belastet sie schwer. "Die Kinder sollen nicht denken, Mama hat keinen Bock auf uns," sorgt sie sich, "sie sollen die Krankheit nicht auf sich beziehen". Hilfe fand sie bei Lebensfarben. Der Verein stellte den Kontakt zu Leons Mutter über eine Elterngruppe in einer Klinik mit Fachabteilung für psychische Erkrankungen her, die er leitet und berät.
Entlastung für Kinder und Eltern
Tobias ist der Mutter in schweren Zeiten eine große Stütze und entlastet sie. "Wenn Leon von einem Nachmittag mit Tobias nach Hause kommt, ist er richtig glücklich und ruhig", sagt sie erleichtert. Das Verhältnis zwischen Tobias und Leons Mutter ist offen und unkompliziert. "Er sagt nie zu mir, mach dies, mach das", sagt die Mutter über Leons Paten. Es ist ihr wichtig, dass ihr Sohn eine männliche Bezugsperson hat, der er vertrauen kann und der unbefangen ist. Tobias beruhigende Rückmeldung an die Mutter nach der Zeit mit Leon ist ausgesprochen oder unausgesprochen: "Schau, alles ist ok".
Zwei Wasserratten - ein gutes Team
Leon freut sich wie Bolle auf die Treffen mit Tobias, die alle zwei Wochen 2-4 Stunden, manchmal auch 10 Stunden dauern, je nachdem, was sie vorhaben. Spielplätze, der Affen- und Vogelpark, die Sternenwarte und natürlich das Schwimmbad standen bisher auf der Agenda. Beim Wassersport wird der aufgeweckte Junge Energie los, kann abschalten und taucht im wahrsten Sinne des Wortes in eine andere Welt ein. Schwimmen gehen bedeutet für Leon außerdem exklusive Zeit mit seinem Paten. Zusammen sind sie wie ein Taucher mit seinem Buddy, der im Notfall Hilfestellung leistet und Sicherheit vermittelt. "Ich mag einfach alles an Tobias!", sagt Leon, als wäre das selbstverständlich. Wenn die beiden nicht gerade zusammen Sport machen oder spielen, reden sie "über Gott und die Welt", erzählt Tobias. "Leon ist sehr wissbegierig, stellt Fragen und hat viele Ideen." Der Schüler erzählt ihm auch, was ihn belastet, er weiß, dass er Tobias voll und ganz vertrauen kann.
Pate werden? Für Tobias keine Frage
Tobias hat eine Schweigepflichterklärung unterschrieben, ein erweitertes Führungszeugnis vorgelegt und nimmt regelmäßig an Praxisreflektionen und Supervisionen durch das Lebensfarben-Team teil. Er ist eher zufällig an die Patenschaft gekommen und war "sofort geflasht von dem Verein und seinen Zielen", berichtet er. "Mir eröffnete sich eine Welt, die ich nicht kannte", sagt er mit Blick auf die psychischen Erkrankungen, über die er bei Lebensfarben erfuhr. Als "sehr behütet aufgewachsenes Kind" sei es ihm "wichtig, der Gesellschaft etwas zurückzugeben". Lebensfarben-Geschäftsführerin Sandra Karsten musste daher keine Überzeugungsarbeit leisten, um Tobias als Paten zu gewinnen. "Ich wollte einfach helfen!", sagt er rückblickend. Schnell sei er mit dem Verein und den anderen Pat*innen zusammengewachsen. "Ich habe viel gelernt, bin sehr beeindruckt, was der Verein leistet."
Die Patenschaft – ein sorgsam ausgearbeitetes Modell
Tobias Patenrolle erfordert ein hohes Maß an Verantwortung. Zuverlässigkeit, Sensibilität und Vorkenntnisse über psychische Erkrankungen sind Voraussetzung. Wer ehrenamtlich Pat*in bei einer Familie werden will, muss daher vier Ausbildungstage bei Lebensfarben durchlaufen, deren Inhalte auf die Bedürfnisse von Kindern und Jugendlichen von psychisch oder suchtkranken Eltern zugeschnitten sind.
Patenschaften, die durch Lebensfarben zustande kommen, werden nicht bunt zusammengewürfelt. Pat*innen und Familien sollen gut zueinander passen, ähnlich wie bei Leon und Tobias. 36 patensuchende Kinder stehen derzeit auf der Warteliste und auch einige Pat*innen stehen Schlange. Ob und wie sie zusammenarbeiten werden, entscheiden Kinder, Eltern und Pat*innen in Begleitung eines Koordinierenden von Lebensfarben. Die Dauer einer Patenschaft ist individuell und wird in regelmäßigen Gesprächen mit allen Beteiligten den sich veränderten Bedarfen angepasst.
Zum Portfolio des Vereins, der sich überwiegend durch Stiftungs- und Spendengelder finanziert, gehört nicht nur das Patenmodell, sondern auch weitere flankierende Unterstützungsmaßnahmen: Gruppenangebote, Hilfe zur Selbsthilfe, Aufklärungsarbeit und der Lotsendienst, der für betroffene Familien den Zugang in das psychosoziale Hilfenetzwerk herstellt. Diese niederschwelligen Angebote sollen negative Folgen der elterlichen Erkrankung auf ihre Kinder reduzieren und möglichen Entwicklungsstörungen und Verhaltensauffälligkeiten präventiv begegnen. Mit seinen vielfältigen Aktivitäten trägt Lebensfarben maßgeblich zur Entstigmatisierung psychischer Erkrankungen bei.
Unterstützung für die Region Oberbergischer Kreis
Seit Anfang 2021 ist Lebensfarben aktiv am flächendeckenden Ausbau zur Hilfe für Kinder und Jugendliche psychisch und suchterkrankter Eltern im Oberbergischen Kreis beteiligt: Bei dem Gemeinschaftsprojekt "Lückenlos" haben sich der Verein, die Jugendämter des Oberbergischen Kreises sowie das Kreisgesundheitsamt zusammengeschlossen, um das psychische Wohlergehen der Region zu stärken. Lebensfarben übernimmt hierbei die Vermittlung betroffener Familien in das Hilfenetzwerk des Oberbergischen Kreises und bietet ergänzende Unterstützungsangebote an. Das LVR-Landesjugendamt steht beratend zur Seite. Es unterstützt die Akteur*innen im Rahmen des Förderprogramms "Unterstützung der Kommunen im Rheinland beim Ausbau der Angebots- und Koordinationsstrukturen für Kinder und Jugendliche mit psychisch und / oder suchtkranken Eltern" durch eine Initialförderung mit rund 150.000 Euro. Das Projekt ist bis Ende 2022 angelegt. Doch wie soll es ab 2023 für den Verein weitergehen? Das Team von Lebensfarben hofft ebenso wie Eltern und Kinder, dass das für alle Beteiligten bereichernde Patenmodell dauerhaft fortgesetzt werden kann. Leons Mutter möchte ihren Söhnen eine möglichst sorgenfreie, unbelastete Kindheit schenken. Wenn sie an die Zukunft ihrer Kinder denkt, wünscht sie sich "Glück, Freude, und dass sie ihren Weg finden." Der Wunsch hat gute Chancen, in Erfüllung zu gehen, wenn der Verein Lebensfarben eine Regelfinanzierung erreichen kann. Leon und Tobias sind dafür sein bestes Argument.